Eröffnungsrede

"Öffentliche Bauten in der Demokratie"

Dieses relativ anspruchsvolle Thema habe ich mir als Überschrift für meine Rede selbst gewählt, weil ich - ehrlich gesagt - bei diesem schönen Anlaß heute nicht wieder die typische Oberbürgermeister-Rede, mit dem Aufzählen aller Fakten, Zahlen und beteiligten Personen halten wollte. Im Nachhinein war ich dann fast schon ein wenig erschrocken über den mir selbst gestellten Anspruch und auch bei der Vorstellung, daß vielleicht der eine oder andere der Gäste sich fragt: Was kann uns dazu denn ein Jurist sagen?

Aber als meine zuständige Mitarbeiterin mir dann vor einigen Tagen sowohl eine schöne Monographie von Adolf Arndt - die Älteren unter Ihnen werden noch wissen, daß er einmal der sogenannte „Kronjurist" der SPD-Bundestagsfraktion war - mit dem Titel „Demokratie als Bauherr" sowie die Antrittsvorlesung des Staatsrechtlers Ulrich Battis aus dem Jahre 1994 mit demselben Titel und unter Bezug auf Adolf Arndt vorlegte, habe ich mir beruhigt gesagt: Also Juristen können sich zu diesen Fragen auch äußern - sie können sich ja eigentlich fast zu jeder Frage äußern, oder nicht?[1]

Über die Frage nach den „öffentlichen Bauten in der Demokratie" haben also schon viele nachgedacht und auch gestritten. Ganz offensichtlich, weil hier ein Problem mit einem gewissen Unbehagen angesprochen wird, das zweifellos aus einem Zustand der Unzufriedenheit und des Zweifels herrührt. Des Zweifels nämlich, ob der demokratische Staat - im Vergleich zum vordemokratischen Staat - beispielsweise ein Bauherr ist, der ähnlich Beeindruckendes, Nachhaltiges, ja Anrührendes hinterläßt. Und gerade in jüngster Zeit ist unser demokratischer Staat als Bauherr großer Vorhaben in der Tat kräftig umstritten. Denken Sie an so unterschiedliche Projekte wie die Elbphilharmonie, den Flughafen Berlin oder Stuttgart 21. Aber auch an den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, den abgeschlossenen Wiederaufbau der Frauenkirche oder natürlich an den umstrittenen Rekonstruktionsbau unseres Welfen-Schlosses. Alle diese großen Projekte waren und sind Gegenstand heftigster Diskussionen und Erörterungen. Was wiederum in einer Demokratie eigentlich auch so sein sollte und nur natürlich ist. Interessant ist, dass das, was den Bürgern gut gefällt, den Architekten nicht gefällt und was den Architekten gefällt, oft später zu teuer ist. Und wenn es zu teuer ist, beginnt die Suche nach dem Sündenbock und landet dann bei der Bauverwaltung oder gar der Politik. Das verdunkelt oft die schönsten Ergebnisse und Bauten. Und stiftet eben Unbehagen allenthalben.

Da lohnt vielleicht ein Rückblick in die vordemokratische Zeit.

Ich war gerade diese Woche ein paar Tage in unserer Partnerstadt Bath. Einem UNESCO Weltkulturerbe, einem Ort mit singulären Gebäuden, der auch jemandem aus einer Stadt mit einem solchen Dom und einem Schloß Richmond und einem schönen Altstadtmarkt usw. mehr als imponieren muß. Weil diese Stadt eben ein rundum geschlossenes, großartiges städtebauliches Ensemble ist.

Dort, wo die deutsche Luftwaffe im 2. Weltkrieg die Wunden gerissen hat, ist fast alles wieder im ursprünglichen Zustand wiederhergestellt und so mag die Stadt sogar manchem wie ein einziges Denkmal erscheinen. So wie beispielsweise die Ursprungsstadt des Palladianismus, nämlich das italienische Vicenza, das ich trotz meiner Wörlitz-Affinität leider erst vor zwei Jahren zum ersten Mal besucht habe. Nun hört sich das Wort „Denkmal" doch zunächst eher tot und starr, rückwärts gewandt und wenig inspirierend an. Aber trotzdem sind Bath und Vicenza ganz jung und frisch und kreativ und attraktiv erscheinende Städte. Und sie ziehen nicht nur Millionen von Touristen aus aller Welt an, sondern die Menschen - auch die jungen Menschen - fühlen sich in diesen Städten wohl und sind stolz auf ihre Stadt. Städte, so gebaut in vordemokratischer Zeit.

Und wenn auch bei uns in Braunschweig die Kriegszerstörung noch viel stärker als in Bath war und wenn bei uns leider sehr viel weniger von dem Zerstörten oder zum Teil noch Erhaltenen nach dem Kriege wieder rekonstruiert worden ist, wie beispielsweise in Bath, Warschau oder Danzig, so haben wir doch unsere sogenannten „Traditionsinseln". Und es sind diese Traditionsinseln, die nicht nur die Lieblingsorte der einheimischen Bevölkerung sind, sondern auch die großen Anziehungspunkte für unsere Gäste. Das ist mir erst jetzt wieder von dem großen Publikum des europäischen Wirtschaftsjunioren-Kongresses bestätigt worden. Die jungen Leute aus ganz Europa schwärmten vom Burgplatz, vom Altstadtmarkt, von der Schloß-Rekonstruktion, von Richmond, auch vom Rathaus - aber vom alten, nicht vom Neubau der siebziger Jahre. ...

Das sind nach wie vor die großen Attraktionspunkte im Städtetourismus Braunschweigs. Die Städte leben dabei gewissermaßen von dem Kapital, das unsere Vorfahren, vorwiegend in vordemokratischer Zeit, an öffentlichen Bauten geschaffen haben. Natürlich sind es vor allem auch die großen Sakralbauten, die bewundert und bestaunt werden, vom Petersdom bis zur Blauen Moschee in Istanbul, von den Kathedralen des Kreml bis zu Notre-Dame. Aber auch die Schlösser und die großen Museen bis hin zu den alten prunkvollen Bahnhöfen sind Attraktionen.

Bürger und öffentliche Meinung wurden seinerzeit nicht gefragt, Rechnungshöfe auch nicht, oft nicht einmal Parlamente. Da wurde zum Teil ungehemmt drauf los gebaut, was das Zeug hielt. Der letzte Monarch, der das so unternahm, endete bekanntlich nicht gerade glücklich - es war Ludwig II. von Bayern. Damit war die Phase vordemokratischen öffentlichen Bauens im großen Stil, jedenfalls in Deutschland, wohl endgültig vorbei.

Es kommt ein weiteres hinzu: Diese öffentlichen Bauherren hatten auch einen langen Atem, der länger als die Legislaturperioden dauerte. Manchmal überdauerten diese Bauten das eigene Leben und auch das noch des Nachfolgers und des Nach-Nachfolgers. Man baute gewissermaßen für die Ewigkeit.

Kann das eine Demokratie, deren Verantwortliche zunächst in Wahlperioden und das heißt buchstäblich Wahl-Perioden denken? Hat sie die Kraft, ist sie so auf Nachhaltigkeit, dauerhafte Wirkung und auf Wirkung überhaupt angelegt? Dazu konnte ich in den eingangs erwähnten Veröffentlichungen von Arndt und Battis sehr kritische Stimmen lesen bzw. in den dort aufgeführten Zitaten.

Im Vorwort zu der Schrift von Adolf Arndt sagt übrigens der berühmte Architekt Max Taut - Sie sehen, ich bringe auch einen Architekten zu Wort! -: „Im 18. Jahrhundert findet sich zum letzten Male die Identität von sozialer Struktur und Gebautem."[2] An dieser Stelle habe ich mir ein Fragezeichen notiert, aber da habe ich jetzt nicht die Zeit, hier darüber länger zu reflektieren. Aber interessant ist dieser Gedanke zweifellos. Doch noch einmal Adolf Arndt, der im Rückblick auf die ihm ja noch sehr nahe liegende Weimarer Zeit meint: „...daß die Weimarer Zeit - die ich damit nicht kränken möchte, ich halte sie für eine sehr bedeutende Zeit -, soweit es um die öffentliche Hand geht, eine Unfruchtbarkeit im Bauen doch nicht verkennen läßt." Es habe sich daraus geradezu: „...das Vorurteil festgefressen, daß Demokratie, etwas Anonymes, ja geradezu etwas Amusisches sei, unfähig, sich im öffentlichen Bauen darzustellen und im Bauen ihr Ethos sichtbar zu machen."[3]

Über die Bonner Republik waren die Verdikte noch drastischer. Josef Isensee hat einmal formuliert, die Bonner Republik erborge sich ihre Repräsentation beim geistlichen Monarchen aus der Verfassungsepoche des aufgeklärten Absolutismus, die „bauliche Mimikry der bundesdeutschen Staatlichkeit" sei „scheinbar ein Tribut an die demokratische Egalität."[4] Der von mir früher so gern gelesene Johannes Gross hat in seiner typischen Zuspitzung behauptet: „In vierzig Jahren wachsenden Wohlstandes hat der Staat Bundesrepublik nicht ein einziges Gebäude von architektonischem Rang errichtet", und schließlich noch ein besonders scharfes Urteil des großartigen Wolf Jobst Siedler über die seines Erachtens nach dem Kriege „gemordete Stadt" Berlin: Die auf Zustimmung angewiesene Demokratie und moderne Architektur insgesamt vermöchten, anders als geschmackssichere einzelne Bauherren früherer Zeiten nicht mehr zu bauen als „Behälter für Angestellte".[5] Harte Worte, mir fällt wenig Widerspruch dazu ein.

Um zurück auf Bath zu kommen, ist meinem persönlichen Geschmack - und ich glaube auch dem der großen Mehrheit unserer Bevölkerung - dies Erscheinungsbild doch wesentlich angenehmer als das der armen wiederaufgebauten Innenstädte beispielsweise in Hildesheim, Kassel oder Stuttgart. Oder das der Kurt-Schumacher-Straße etwa bei uns. Warum es die Architektur nach der großen Revolution der Weimarer Zeit durch das Bauhaus - die Adolf Arndt angesprochen hat - nicht geschafft hat, oder jedenfalls meistens nicht geschafft hat, mit zeitgenössischen Bauten auch Herzen und Geschmack und Respekt der Bevölkerung zu erreichen, weiß ich nicht zufriedenstellend zu beantworten.

Tatsache ist, daß die großen alten Bauten, und mit alt meine ich da auch schon dieses hundertjährige Museum, bis heute eindrucksvoller geblieben sind. Das hat auch die große Resonanz auf die Rekonstruktion der Museumsinsel in Berlin gezeigt. Und ich bin ganz optimistisch, das wird uns jetzt mit unserem Museum genauso ergehen. Niemand würde ja heute als Architekt oder auch als öffentlicher Bauherr einen Museumsbau etwa so errichten, wie das Bode Museum oder dieses Museum hier. Und trotzdem haben wir alle schon beim Neujahrsempfang der Stadt erlebt, als wir uns erstmalig in diesem herrlichen, so wieder hergerichteten Raum versammelt haben, wie das auf uns wirkt. Und welche bauliche Sünde man begangen hat, als man vor rund 30 Jahren hier in diesen Baukörper eingriff und „modernisierte".

Ich will und muß hier abbrechen. Das sollen auch mehr Denkanstöße und zum Widerspruch reizende Thesen und Gedanken sein, als ein irgendwie in sich fertiges, gedankliches Gebilde. Dazu bin ich natürlich nicht kompetent. Wer das einmal geistig geschlossen insgesamt durchdenken will, dem empfehle ich eben jene Schrift von Adolf Arndt. Er sagt an einer Stelle: „Eine Demokratie ist nur so viel wert, wie sich ihre Menschen wert sind, dass ihnen ihr öffentliches Bauen wert ist."[6]

Also doch in jedem Falle ein Bekenntnis - und auch von mir ein Bekenntnis - zum Mut zu staatlicher Repräsentation, zu staatlichem Glanz und zu der eindeutigen Zielsetzung, daß auch in einer Demokratie die öffentlichen Bauten die Städte prägen sollten und nicht die der Banken, Versicherungen und Unternehmen - so wertvoll mir ihre Investitionen und Steuereinnahmen auch sind.

Deshalb bin ich froh, daß die Räte der Stadt Braunschweig jeweils die politischen Entscheidungen nicht nur seinerzeit zur Rekonstruktion der Alten Waage, oder, gleich nach dem Kriege des Altstadtrathauses und der Traditionsinseln, sondern auch zur Schloß-Rekonstruktion und zur Rekonstruktion eben dieses Museums gegeben haben. Und dafür auch viel Geld in die Hand genommen haben. Und dieses durchaus in Konkurrenz zu anderen Vorhaben. Politik muß sich nämlich dazu bereitfinden, sich nicht jene Totschlagsfrage aufzwingen zu lassen: „Wollt Ihr Rathäuser oder Schulen, Museen oder Kindergärten, Sozialausgaben oder Prunkbauten?!" Wer sich auf eine solche Debatte in einem demokratischen Staat mit seinem Gebirge von Ansprüchen an denselben einläßt, der fällt schlichtweg als Bauherr für eindrucksvolle und bleibende Bauten aus. Das müssen wir aktuell Verantwortlichen in Braunschweig uns jedenfalls nicht nachsagen lassen, genauso wenig wie unsere Vorgänger vor 100 Jahren, als zum etwa gleichen Zeitpunkt das Rathaus, die Burg und dieses Museum errichtet wurden.

Die Bereitschaft, auch für die öffentliche Repräsentation durch gute Architektur, viel Geld in die Hand zu nehmen, muß und darf aber nicht heißen, daß dies ein Freifahrtschein für Mißmanagement bei Kostenkontrolle, Auseinanderfallen von Kosten und Bauverantwortung oder zur Selbstbedienung aller Wünsche von Fachverantwortlichen wäre. Das ist natürlich im demokratischen Staat anders: Die wählenden Steuerzahler haben einen verbrieften Anspruch darauf, daß ihnen gegenüber Rechenschaft abgelegt wird, was mit ihren Steuermitteln passiert und daß sie insbesondere effizient und letztlich sparsam eingesetzt werden. Dem muß man sich stellen und dann muß man gewissermaßen auch den Spagat zwischen diesen Grundsätzen und den Anforderungen, die ich vorher gestellt habe, aushalten. Und man muß - und das gilt gerade oft auch bei den großen Kulturbauten - wissen, daß, anders als in den Zeiten des Absolutismus, jedenfalls nie alle Wünsche hemmungslos erfüllt werden können. Da fehlt dann zum Beispiel bei einem Museum immer irgendetwas, was eigentlich noch dazu gehörte. Und da bleiben letztlich auch immer noch Wünsche offen, die früher ein fürstlicher Mäzen, wie Ludwig II. seinem Richard Wagner freudig erfüllt hätte.

Weil das so ist, mußten wir zu recht kritische Fragen nach den Kostensteigerungen bei diesem Bau auch beantworten. Und konnten es wohl letztlich zufriedenstellend. Und ich mußte interne Wünsche abschlagen, die zu noch höheren Kostensteigerungen geführt hätten. Doch kann und soll beides unsere heutige Feststimmung nicht trüben.

Ob man die Frage „ist der demokratische Staat ein eindrucksvoller und guter Bauherr?" rückhaltlos mit ja oder nein beantworten kann, lasse ich heute einfach einmal offen. Aber daß die Stadt Braunschweig sich mit dem heutigen Tage und der Wiedereröffnung des Städtischen Museums als ein auch gegenüber seiner großen Geschichte verantwortlicher Bauherr erwiesen hat, möchte ich doch mit Fug und Recht und einigem Stolz bejahen.

Und deshalb am Ende nochmals allen Beteiligten Dank und Anerkennung für dieses Werk und die ihm zugrunde liegenden Entscheidungen!

 

 


[1] Arndt, Adolf: Demokratie als Bauherr, Berlin 1984. Erneute Veröffentlichung seines Vortrags zur Eröffnung der Berliner Bauwochen 1960 in der Akademie der Künste; Battis, Ulrich: Antrittsvorlesung vom 25. Januar 1994, Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät, Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht, veröffentlicht in: Dürkop, Marlis (Hrsg.): Öffentliche Vorlesungen, H. 54, Berlin 1995.
[2] Taut, Max: Vorwort, in: Arndt, S. 7.
[3] Arndt, S. 11.
[4] Isensee, Josef: Staatsrepräsentation und Verfassungspatriotismus. Ist die Republik der Deutschen zu Verbalismus verurteilt?, in: J.-D. Gauger; J. Stagl (Hrsg.): Staatsrepräsentation, Berlin 1992, S. 223/229, zit. nach Battis, S. 5.
[5] Gross, Johannes: Phönix in Asche, 3. Aufl., Stuttgart 1989, S. 12; Siedler, Wolf Jobst: Die gemordete Stadt, Berlin 1964; ders., in: FAZ v. 30.4.1993; Der Spiegel 51/1992, zit. nach Battis, S. 4 f.
[6] Arndt, S. 19.

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