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Ein Schwimmbecken voller Ideen

Mit ihrem Innovationslabor betreibt die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Braunschweig eine Einrichtung, die man wohl eher im universitären Bereich oder in Technologiekonzernen vermuten würde – und weniger in einer Institution, die im sozialen Bereich tätig ist. Doch gerade hier sind gute Ideen und innovatives Denken von enormer Bedeutung, um Abläufe zu optimieren und den Alltag der Menschen zu erleichtern. Ideengeber sind die Beschäftigten selbst.

Blick ins ehemalige Schwimmbecken des ThinkPool. Heute ist hier das AWO-Innovationslabor zu Hause, wo statt Wassertherapie Seminare, Coachings und Workshops stattfinden.© BSM/Christoph Matthies

Am 9. Oktober wird es wieder so weit sein: Zum zweiten Mal werden dann bei einer „Launch-Party“ auf dem AWO-Kampus in Querum Ideen und Projekte präsentiert, die das Ziel haben, den (Arbeits-)Alltag in den sozialen Einrichtungen des Wohlfahrtsverbandes zu erleichtern und zu verbessern. Welche davon letztlich übernommen und in der Praxis umgesetzt werden, entscheidet anschließend die Geschäftsführung. Bis zu dieser Abschlussveranstaltung haben sich mehrere Teams die Köpfe über ihre Ideen zerbrochen, evaluiert, kalkuliert, optimiert – und in einem Fall wohl auch resigniert, weil der Gedanke, der zunächst so sinnvoll erschien, nicht realisierbar war. Es sind wohlgemerkt keine externen Berater, keine Agenturen, die dort über der Zukunft der sozialen Arbeit gebrütet haben. Es sind die eigenen Leute, die nach praktikablen Lösungen geforscht haben – Beschäftigte der AWO, die eigentlich in der Altenpflege tätig sind, als Kita-Betreuerin oder in der Jugendhilfe.

Der ThinkPool auf dem AWO-Kampus im Querumer Forst. Hier ist ein moderner Ort entstanden, an dem fortschrittlichen Ideen und kreativen Lösungsansätzen Raum gegeben wird.© BSM/Christoph Matthies

„Unsere Erfahrung zeigt, dass es sehr viel innovatives Potenzial bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gibt“, erklärt Ingrid Kleinert, Innovationsmanagerin im AWO-Innovationslabor (Öffnet in einem neuen Tab), die Idee hinter dem Projekt: „Sie sind vor Ort und wissen, was die Menschen brauchen. Was man vielleicht verbessern und verändern könnte. Welche Angebote für die Menschen passend wären.“ Im Arbeitsalltag, sei es in der Pflegeeinrichtung oder in der Förderschule, gebe es aber nur selten den Freiraum, neue Ansätze auszuprobieren. An dieser Stelle kommt das Innovationslabor ins Spiel, wo neue Ideen – gerne auch die anfangs vielleicht weniger naheliegenden – stets Gehör finden und auf ihre Praxistauglichkeit abgeklopft werden.

Ingrid Kleinert und Julia Schur vor ihrem Arbeitsplatz, dem ThinkPool auf dem AWO-Kampus.© BSM/Christoph Matthies

Ein Ort für kreatives Denken: der ThinkPool

Seit Sommer 2018 hat der Bezirksverband Braunschweig der AWO ein Gebäude, wo all dies stattfinden kann. ThinkPool heißt der Ort, wo alles, was bei dem Verband mit Innovation, Kreativität und Erfindergeist zu tun hat, gebündelt wird. Der Name ist treffend gewählt – das flache Haus war früher ein Therapieschwimmbad, das aber schon lange leer stand beziehungsweise als Lager genutzt wurde. Der Pool, in dem früher geschwommen wurde, ist noch erkennbar, Details wie etwa die Leitern, die früher am Beckenrand hingen, hat der Architekt in seinen Entwurf einfließen lassen. Heute finden hier Workshops, Seminare und Veranstaltungen statt. „Der Raum hat eine ganz eigene Atmosphäre“, beschreibt Kleinert ihre ungewöhnliche Arbeitsumgebung, „es gibt keine festen Tische, alles hat Rollen und lässt sich flexibel umgestalten.“ Ein guter Ort, um Ideen zu Wasser zu lassen.

Elemente des ehemaligen Schwimmbades sind im AWO-Thinkpool noch immer zu finden.© BSM/Christoph Matthies

Bis zu 55 Personen können im ehemaligen Schwimmbecken auf treppenartig angeordneten Sitzwürfeln Platz nehmen. Die typische und ideale Gruppengröße liege aber eher bei acht bis zwölf Teilnehmern, erklärt die AWO-Angestellte. Daneben gibt es kleinere, bei Bedarf abtrennbare Bereiche und Einzelarbeitsräume sowie eine offene Küche. Wer sich hier umsieht, wird bestätigen, dass ein modernes und interessantes Umfeld geschaffen wurde, um Gruppenarbeit fernab von starren Tischreihen und lähmendem Frontalunterricht zu ermöglichen. „Innovation kann natürlich überall stattfinden, aber es ist schön, wenn es einen Ort dafür gibt“, findet Kleinert. „Und wir sind sehr froh, dass wir diesen Ort haben.“ Längst finden im ThinkPool auch Kooperationsprojekte mit externen Partnern statt, die sich hier ebenso wohlfühlen. Des Weiteren wird der außergewöhnliche Seminar-Ort an Unternehmen und Verbände vermietet.

Reste der Hallenbad-Atmosphäre haben die Architekten des ThinkPool erhalten.© BSM/Christoph Matthies

Das Gehirn der Gruppe nutzen

Jederzeit können die fast 4000 AWO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zwischen Goslar und Gifhorn das Innovationslabor im Querumer Forst besuchen, um Anregungen und Ideen loszuwerden. Ingrid Kleinert und ihre Kolleginnen sind stets vor Ort und werben dafür, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Zur weiteren Förderung der Innovationskultur und um der Ideenfindung Struktur zu geben, wird außerdem ein Ideenwettbewerb veranstaltet. Die interessantesten Vorschläge werden in ein Entwicklungsprogramm aufgenommen. Zehn Monate ist dann Zeit, um Ergebnisse zu präsentieren, die Einfälle mit Leben zu füllen. Die Projektteilnehmer sind in diesem Zeitraum insgesamt 14 Tage von ihrer üblichen Tätigkeit freigestellt, an denen sie beraten und gecoacht werden, vor allem aber in verschiedenen Workshops arbeiten. Und die sind inhaltlich breit aufgestellt, weiß Kleinert: „Die Projekte und Workshops leben auch davon, dass Beschäftigte aus unterschiedlichen Bereichen, die sonst niemals zusammenarbeiten würden, hier zusammen sind. Genau dann entstehen Innovationen: Wenn die Kita-Mitarbeiterin mit der Einrichtungsleitung des Wohn- und Pflegeheims gemeinsam an einem Thema arbeitet. Dann entsteht etwas, was sonst nie entstanden wäre.“ So arbeiten die Projektteams nicht zehn Monate lang alleine vor sich hin, sondern bekommen immer wieder das Feedback von den anderen. „Sie benutzen das Gehirn der Gruppe, um ihre Projekte und Ideen zu reflektieren und weiterzuentwickeln“, beschreibt Kleinert den kreativen Prozess.

Die Innovationsmanagerinnen Ingrid Kleinert und Julia Schur (von rechts) sowie Veranstaltungsmanagerin Martyna Chromik bilden das Team des AWO-Innovationslabors.© BSM/Christoph Matthies

Bei der Abschlussveranstaltung des laufenden Entwicklungsprogramms am 9. Oktober werden drei Projekte der Geschäftsführung vorgestellt. Thematisch wird es diesmal um Telemedizin, sprich ärztliche Beratung per Videostream, eine flexiblere Kinderbetreuung für die Beschäftigten und bessere Berufseinblicke für Schulpraktikanten gehen. Ein ursprünglich viertes Projekt zum Kooperativen Wohnen wurde bereits vorzeitig beendet. „Ein Entwicklungsprogramm kann eben auch zeigen, dass etwas nicht so funktioniert, wie ich es mir gedacht habe. Dann muss ich es auch nicht weiterentwickeln“, stellt Ingrid Kleinert klar, dass nicht jeder Idee eine große Zukunft vergönnt ist. Das sei aber auch gar nicht schlimm, sondern gehöre ganz natürlich zum kreativen Prozess dazu. Herauszufinden, welche Lösungen umsetzbar sind und welche nicht: Genau zu diesem Zweck wurde das Innovationslabor schließlich gegründet.

Text: Christoph Matthies, 03.09.2020


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