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Süßer Fortschritt

Die Nordzucker AG ist einer der größten Zuckerproduzenten Europas. Auf diesem Status ruhen sich die Braunschweiger aber nicht aus: In einem eigenen Innovationslabor arbeitet das Unternehmen daran, die Verarbeitung von Zuckerrüben noch ressourcenschonender und nachhaltiger zu gestalten.

Viele Küchenweisheiten meiner Oma sind nach all den Jahren nicht hängengeblieben, eine aber werde ich nie vergessen und kommt an meinem Herd stets zur Anwendung. „In jedes gute Essen gehört auch eine Prise Zucker“, pflegte die patente Frau zu sagen, und je nach Gericht durfte es statt der Prise auch gern mal ein Tee-, Ess- oder Kochlöffel sein. Daran hat sich bis heute auch bei meiner Zubereitung von Soßen und Suppen nichts geändert.

Ob meine Oma, im Raum Celle zu Hause, immer wusste, wo ihr Zucker herkam, kann ich nicht sagen. Als Braunschweiger weiß man dagegen ziemlich genau, woher die süßen Kristalle stammen, immerhin hat man mit der Nordzucker AG den zweitgrößten Zuckerproduzenten Europas direkt vor der Haustür. Den Unternehmenssitz findet man in der Küchenstraße, nur einen Steinwurf von der Alten Waage auf der einen und dem Welfenhof auf der anderen Seite entfernt. Drei Zuckerfabriken betreibt das Unternehmen in der (erweiterten) Region, nämlich in Schladen (Landkreis Wolfenbüttel), Clauen (LK Peine) und Nordstemmen (LK Hildesheim). Um die Fabriken soll es in diesem Text aber nur am Rande gehen – denn die Zukunft der Zuckerherstellung und damit auch die Frage, wie nachhaltig und ressourcenschonend sie sein kann, wird gerade anderswo entschieden.

Piotr Wawro leitet die Abteilung Qualität, Innovation und Produktionsunterstützung (QIPS) bei Nordzucker.© Nordzucker

„Bis 2050 wollen wir CO²-neutral sein, wenn möglich schon früher“, sagt Piotr Wawro, wenn man ihn fragt, wo bei Nordzucker die Reise hingehen soll. Der Mann, der im polnischen Łódź aufgewachsen ist, leitet die QIPS-Abteilung des Braunschweiger Zuckerproduzenten. QIPS, das steht für Qualität, Innovation und Produktionsunterstützung. Auf der dänischen Insel Lolland arbeiten QIPS-Mitarbeiter, außerdem in Kopenhagen und in Südschweden – Nordzucker ist ein internationaler Konzern, für den insgesamt rund 3800 Menschen tätig sind und der sogar zwei (Rohr-)Zucker-Raffinerien in Australien betreibt. Die meisten QIPSer aber finden sich in Braunschweig. Nicht in der Zentrale in der Küchenstraße, sondern im Langen Kamp. Hier, im Nordosten der Löwenstadt, in Sichtweite des TU-Rechenzentrums, in einem Quartier, das ansonsten vom Maschinenbau geprägt ist, macht sich Nordzucker Gedanken über das Heute und das Morgen.

In den Laboren des QIPS werden die Nordzucker-Produkte stets auf ihre Qualität hin überprüft. Gerade erstellt Chemielaborantin Lisa Bigas eine Zuckerlösung.© Christoph Matthies / BSM

Energieeinsparungen von bis zu 50 Prozent

Grundsätzlich ist die Herstellung von Zucker aus Zuckerrüben ein sehr altes Handwerk, die Vorgänge sind lange bekannt und bewährt. Die Rüben werden nach der Ernte, die stets in einer „Kampagne“ von September bis in den Winter hinein stattfindet, von den Landwirten der Region in die Fabrik geliefert und anschließend gereinigt. Dann wird aus ihnen ein Dünnsaft extrahiert. Dieser wird eingedickt, danach wird der gewonnene Dicksaft gekocht. Am Ende werden die Zuckerkristalle von der Melasse getrennt, bevor sie in einem letzten Schritt getrocknet und gekühlt werden. „Die Zuckertechnologie ist seit vielen Jahrzehnten bekannt“, sagt Wawro, „aber es gibt neue Methoden und weiterhin viele Möglichkeiten, die Technologie zu optimieren, um weniger Energie zu verbrauchen.“ Der geringere Energieverbrauch, den Nordzucker anpeilt, ist eine entscheidende Säule, um irgendwann klimaneutral zu produzieren. Die Energieeinsparung, die der QIPS-Chef für möglich hält, liegt bei 40 bis 50 Prozent.

Ähnlich wie in den Kochapparaten der Zuckerfabriken, gibt es auch im QIPS Kristallisatoren, mithilfe derer an der Zuckerherstellung von Morgen geforscht wird.© Christoph Matthies / BSM

Eine Zuckerfabrik ist prinzipiell schon eine recht saubere Sache, „sie ist eigentlich eine Bio-Raffinerie“, stellt Wawro klar. Warum das so ist, erklärt mir Dr. Martin Walter, der Standortleiter der Niederlassung am Langen Kamp. „Die Rüben hinterlassen – abgesehen vom Zucker – keinen Abfall, sondern ausschließlich Nebenprodukte, die allesamt verwertet werden“, erklärt er und zählt die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten auf. Die Melasse etwa, die bei der Zuckerherstellung auch entsteht, ist ein gefragtes Produkt in der Fermentations-Industrie. Das Nebenprodukt Carbokalk geht als Dünger in die Landwirtschaft. Das Wasser, das bei der Zuckerkristallisation entweicht, immerhin 750 Liter aus einer Tonne Rüben, wird gereinigt und auf die Felder gebracht.

Blick in eine Zuckerfabrik: Hier werden aus den Rüben die süßen Kristalle.© Christoph Matthies / BSM

Kunststoff aus Zuckerrüben

Die ausgepressten Rübenschnitzel finden als Viehfutter Verwendung, sie werden an Kunden in Europa oder außerhalb Europas verkauft, man kann aus den Rübenschnitzeln Biogas produzieren. „Alles, was aus der Rübe kommt, wird genutzt. Und wir wollen es noch besser nutzen“, betont Wawro. Um diesem Ziel gerecht zu werden, widmet sich ein Forschungsteam innerhalb des QIPS ausschließlich der Frage, welche alternativen Nutzungsmöglichkeiten die Rüben und ihre Nebenprodukte noch bieten. „Das können etwa Kunststoffe sein, Nanocellulose oder Rohstoffe für die chemische Industrie“, erläutert Wawro, der sich freut, dass deshalb mittlerweile auch andere Unternehmen Kontakt zu Nordzucker aufnehmen: „Heutzutage suchen viele Firmen solche Bio-Produkte und sind, anders als früher, auch bereit, die vergleichsweise höheren Preise zu bezahlen.“

Die Zuckerherstellung der Zukunft soll bei den Braunschweigern aber nicht nur weniger Energie fressen, sondern auch möglichst unabhängig von den fossilen Rohstoffmärkten stattfinden. „Die Energie, die wir dann noch brauchen, soll aus den Rübenschnitzeln kommen“, skizziert Walter die Idee. Das Produkt, das verarbeitet wird, würde also letztlich in Form von Biogas selbst die Energie zu seiner Verarbeitung liefern. „Und wir wären autark von den Märkten“, schildert der 60-Jährige seine Vorstellungen vom Unternehmen als energetischem Selbstversorger, die in Zeiten wie diesen, in denen man sich in Europa so schnell wie möglich von russischem Öl und Gas lösen möchte, attraktiver denn je anmuten.

Moderne Messinstrumente spielen in den Versuchslaboren der Nordzucker AG eine besondere Rolle.© Christoph Matthies / BSM

Forschungsziel: Noch mehr Nachhaltigkeit

Wawro und Walter sind überzeugt, dass der europäische Zuckerverbrauch in den kommenden Jahrzehnten stabil bleibt, während er weltweit eher weiter ansteigen wird. Auch deshalb ist Nordzucker sicher gut beraten gewesen, sich international aufzustellen. Das Qualitätsmanagement und der Bereich für Innovationen sind aber weiterhin vor allem in Braunschweig zu Hause. 28 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im QIPS, das mit zwei Laborbereichen aufwartet, tätig. Während in den Zuckerfabriken die routinemäßigen Proben stattfinden, werden hier zum Beispiel Standards definiert oder Ringversuche zur externen Qualitätssicherung durchgeführt. Auch Kundenreklamationen wird hier nachgegangen. Zudem spielt das Thema Arbeitssicherheit eine wichtige Rolle. Vor allem aber wird hier daran geforscht, den Konzern, der im letzten Geschäftsjahr 2,7 Millionen Tonnen Zucker produziert hat, noch nachhaltiger zu gestalten.

Ob ein Esslöffel der weißen Kristalle ein Gericht erst komplett macht, wie es meine Oma einst postulierte, muss jeder für sich selbst entscheiden – und ein bewusster Konsum des süßen Lebensmittels in Maßen ist gewiss ratsam. Aufgrund von Umwelt- oder Klimabedenken soll in Zukunft aber niemand auf Zucker aus regionaler Herstellung verzichten müssen.

Text: Christoph Matthies, 19.04.2022


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