.

Alte Rechner für junge Leute

In den vergangenen Monaten fand im Schnelldurchlauf eine Digitalisierung vieler Lebensbereiche statt. Bei dieser positiven Entwicklung machen sich soziale Unterschiede jedoch stark bemerkbar. Denn nicht jeder junge Mensch besitzt uneingeschränkten Zugang zu einem Computer. Um die digitale Chancengleichheit zu sichern, sammelt und repariert die Initiative „Hey, Alter!“ ausgemusterte Rechner und verteilt sie kostenlos an Schülerinnen und Schüler. Fast 1.000 Geräte hat das ehrenamtliche Projekt bereits verschenkt – und macht inzwischen auch in anderen Städten Schule.

„Meine Frau ist Lehrerin und hatte Lernende, die Ausarbeitungen immer nur auf ihrem Handy schrieben, weil es bei ihnen zuhause keine Computer gab. Da wurde mir das Problem erstmals bewusst“, erinnert sich Moritz Tetzlaff, Projektleiter beim TRAFO Hub (Öffnet in einem neuen Tab). „Später meinte sie dann besorgt, die Lernenden bekämen unter diesen Umständen möglicherweise keinen Abschluss. Also habe ich beschlossen, ihnen einen Rechner zu besorgen. Daraus entstand die Idee für das Projekt.“

Moritz Tetzlaff und Martin Bretschneider bei der Ideenfindung in den Räumen von Gingco.© Inga Stang / TRAFO Hub

Beim Neujahrsempfang der „Magni & Friends“ traf Tetzlaff, umtriebiger Netzwerker und seit Jahren in der Braunschweiger Kreativszene engagiert, auf Martin Bretschneider, Gründer der Werbeagentur Gingco (Öffnet in einem neuen Tab), und konnte ihn für sein Vorhaben begeistern: Spendenaufruf für alte Rechner starten, sie wieder flott machen und unbürokratisch an junge Leute verteilen – so weit, so gut. Doch der Werbefachmann gab zu bedenken: „Ohne eine gute Marke läuft gar nichts.“ Und so entwickelten die beiden die Initiative mit dem eingängigen Namen „Hey, Alter!“ (Öffnet in einem neuen Tab).

Braunschweigs starkes Netzwerk

„Anschließend habe ich bei Schulen angefragt, wie hoch überhaupt der Bedarf ist“, erinnert sich Tetzlaff. "Dabei ergaben sich im Schnitt 50 Rechner; also hochgerechnet rund 1.000 Computer für Braunschweig.“ Es folgte ein Treffen mit Florian Bernschneider, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes (Öffnet in einem neuen Tab) und Schnittstelle zu den Unternehmen der Region. Auch er sagte sofort volle Unterstützung zu und ließ seine Verbindungen spielen. Dann ging plötzlich alles ganz schnell: Als eines der ersten Unternehmen spendete die Volksbank BraWo (Öffnet in einem neuen Tab) stolze 200 Rechner. „Die Aula des Haus der Wissenschaft (Öffnet in einem neuen Tab), die wir vorübergehend als Werkstatt nutzen durften, war voll mit Computern“, erzählt Tetzlaff.

Die vorübergehende Werkstatt des Projekts in der Aula des Hauses der Wissenschaft.© Inga Stang / TRAFO Hub

Doch bevor ein alter Rechner einen neuen Besitzer findet, ist einiges an Arbeit nötig. Denn nicht nur müssen Teile ausgetauscht und repariert werden, auch bedarf es einer Datenschutz-konformen Löschung sowie der Installation aktueller Software. Auch dafür konnte der Netzwerker seine Verbindungen nutzen: „Das ATD Systemhaus (Öffnet in einem neuen Tab) sorgt nun für eine professionelle Datenlöschung“, schwärmt der studierte Kommunikationsdesigner. „Und Cotech (Öffnet in einem neuen Tab) hier im Trafo Hub haben einen USB-Stick entwickelt, den man nur noch einstecken muss, und schon ist praktisch alles auf dem Rechner.“

Martin Bretschneider, Moritz Tetzlaff und ein IT-Spezialist vom Stratum0 bei bevorstehenden Bastelarbeiten an gespendeten Rechnern in der Aula des Hauses der Wissenschaft.© Inga Stang / TRAFO Hub

Gefördert von der Stiftung Achterkerke (Öffnet in einem neuen Tab), hat die Initiative in den vergangenen Monaten immer mehr tatkräftige Unterstützung gefunden: Studierende der TU (Öffnet in einem neuen Tab) bringen die Rechner auf Vordermann, der Hackerspace Stratum 0 (Öffnet in einem neuen Tab) nutzt seine Vereinsstrukturen, um für „Hey, Alter!“ Spendenquittungen auszustellen, und ALBA (Öffnet in einem neuen Tab) entsorgt kostenfrei den Elektroschrott. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Der zweifache Vater ist dankbar und überzeugt: „Sowas ist in dieser Form eigentlich nur in Braunschweig möglich, denn das Netzwerk hier ist einzigartig.“ Schließlich sei bei dem Projekt weit mehr nötig, als nur Computer zu sammeln und zu verteilen, und daher jeder Partner wichtig: „Wenn nur einer wegfiele, würde es nicht mehr funktionieren.“

Weiterhin großer Bedarf

Inzwischen sind auch engagierte Menschen in anderen Städten auf die Initiative aufmerksam geworden und setzen sie erfolgreich bei sich um; so zum Beispiel Hamburg und Köln. Dazu erhalten sie von den Braunschweigern kostenlos den Markennamen, eine passende Website sowie die USB-Sticks mit dem Betriebssystem und der Software. „Das nimmt ihnen schon mal eine Menge Vorarbeit ab. Alles andere können wir aber nicht von hier aus leisten“, weiß Tetzlaff. „Jeder muss das Netzwerk also selbst bei sich aufbauen. ‚Hey, Alter!‘ ist immer ein individuelles Stadtprojekt.“

Nachdem nun etwas Routine eingekehrt ist, sind Tetzlaff und sein zwölfköpfiges, ehrenamtliches Kernteam dabei, ihr Angebot zu erweitern. Mit den Codenauten (Öffnet in einem neuen Tab) produzieren sie derzeit Video-Tutorials zur Nutzung der Rechner. Kostenfreie Computerkurse vor Ort im Trafo Hub sollen folgen. Dennoch rückt die Hauptaufgabe des Projekts nicht aus dem Fokus: „Auch wenn wir bereits 1.000 Rechner gesammelt haben, besteht in der Region immer noch ein Bedarf von mindestens 800“, schätzt der 38-Jährige. „Wir rufen die Unternehmen also herzlich zu weiteren Spenden auf!“

Text: Stephen Dietl, 21.10.2020


Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • © studiostoks/AdobeStock
  • Inga Stang / TRAFO Hub