Mit dem Schaf ans Ziel
Auf dem Weg zur Smart City ist ein Carsharing-Angebot für jede größere Stadt ein Must-have. In Braunschweig wird dieses Feld von der lokalen Marke Sheepersharing abgedeckt: nutzerfreundlich, digital und mit einem zuletzt rasanten Wachstum.
Wer in Braunschweig unterwegs ist, hat sie schon gesehen. Die weißen Autos mit den grünen Schafen stehen entweder auf ihrem fest zugewiesenen Parkplatz oder begegnen einem auf der Straße. „Die Autos haben einen hohen positiven Wiedererkennungswert“, sagt Annett Harms über ihre „Schäfchen“, wie sie die Sheepersharing-Fahrzeuge liebevoll nennt. Weitere Werbung brauche es da gar nicht. Die Braunschweigerin ist für das operative Geschäft beim einzigen Carsharing-Anbieter der Löwenstadt verantwortlich. Ihr Ehemann Wolfgang Harms, der auch die gleichnamige Autovermietung betreibt, hat Sheepersharing einst aus der Taufe gehoben und ist der Geschäftsführer des Unternehmens.
„Zuerst standen wir mit unseren Wagen nur am Bahnhof“, berichtet Wolfgang Harms von den Anfangstagen, die bis ins Jahr 2006 zurückreichen. Die Idee des „geteilten Autos“ hatte im Bewusstsein der meisten Menschen noch nicht wirklich Fuß gefasst. „Damals hatte ich ehrlich gesagt auch noch Zweifel, ob das der richtige Weg ist“, gesteht Harms. Angeregte Gespräche mit seinem früheren Mitschüler Dr. Volker Eckhardt, einem IT-Unternehmer und leidenschaftlichem Anhänger der Carsharing-Idee, führten Ende 2009 dennoch zur Gründung der BS-CarSharing GmbH, die auch heute noch hinter der Marke Sheepersharing steht. Gemeinsame Gesellschafter sind Eckhardt und Harms, der heute viel optimistischer auf das Geschäft blickt. „Wenn ich eine gute Dienstleistung anbiete, kommt der Erfolg von ganz allein“, sagt er selbstbewusst.
„Günstiger können Sie nicht Auto fahren“
Tatsächlich ist Carsharing in den vergangenen Jahren aus verschiedenen Gründen immer beliebter geworden und stellt heute ein kleines, aber nicht unwichtiges Puzzlestück der Mobilitätswende dar. Gerade in Städten verzichten mittlerweile viele Menschen auf das eigene Auto, das seine Funktion als Statussymbol zunehmend einbüßt. Hohe Fixkosten, überfüllte Straßen, die nervenzehrende und zeitintensive Parkplatzsuche und auch der Blick auf die eigene CO²-Bilanz lassen gerade jüngere Menschen gern aufs Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Wenn man dann doch mal ein Auto braucht, sei es für den Großeinkauf, die Fahrt in den Baumarkt oder den Besuch bei Freunden oder der Oma auf dem Lande, ist Carsharing die perfekte Ergänzung. Und eine auch ökonomisch durchaus sinnvolle: „Günstiger können Sie nicht Auto fahren“, sagt Wolfgang Harms im Brustton der Überzeugung – zumindest, wenn man das Auto nur gelegentlich brauche und nicht jeden Tag längere Strecken zurücklege.
Tatsächlich verrät ein Blick auf die Tariftabelle von Sheepersharing, dass die Kompakt- und Kleinwagen (sowie die drei Transporter) des Unternehmens zu absolut erschwinglichen Preisen genutzt werden können. So kann der Kunde zwischen drei verschiedenen Tarifen wählen: Der Gold-Tarif zum Beispiel kostet monatlich 9,90 Euro, dafür sind Kilometerpreis (ab 24 Cent) und Stundenpreis (ab 49 Cent) sehr günstig (Preisstand Februar 2023). Der Basic-Tarif kommt dagegen ohne eine Grundgebühr daher, dafür werden höhere Kosten pro Stunde und Kilometer fällig. Der Sprit ist in den Kosten übrigens inbegriffen: Im Handschuhfach eines jeden Fahrzeugs findet sich eine Tankkarte, die gerne benutzt werden darf, wenn der Tank nur noch zu einem Viertel gefüllt ist.
Die Nutzung der „Schäfchen“ ist ganz einfach. Ist man bei Sheepersharing angemeldet, kann man über die App oder Homepage von Kooperationspartner Flinkster, dem Carsharing-Dienst der Deutschen Bahn, für die gewünschte Uhrzeit ein Fahrzeug im Stadtgebiet suchen und reservieren. Mit einer Chipkarte checkt man dann zur gebuchten Zeit in das Auto ein und öffnet die Tür. Der Schlüssel zum Starten des Wagens befindet sich im Handschuhfach. Nach der Fahrt stellt der Nutzer das Auto wieder auf seinem Stellplatz ab. Nutzungszeit und Kilometerzahl werden vom Bordcomputer erfasst.
Erstmals eine Million Kilometer überschritten
Dass die Carsharing-Idee immer mehr Anhänger gewinnt, belegen auch die Wachstumszahlen des Braunschweiger Anbieters. Anfang 2018 hatte Sheepersharing gerade mal 19 Autos an 19 Stellplätzen im Einsatz, heute sind es 72 Fahrzeuge an 43 Stationen. Auch bei den Nutzungszahlen hat sich viel getan: Sind im Jahr 2018 noch 7500 Buchungen eingegangen, ist diese Zahl im Jahr 2022 auf 24.500 angewachsen. Etwa 3000 Nutzerinnen und Nutzer habe Sheepersharing heute, berichtet Volker Eckhardt. Wenn auch nicht alle davon aktiv seien, sei die Tendenz doch weiter steigend.
Das lässt sich auch über die gefahrenen Kilometer sagen. Im Jahr 2022 haben diese erstmals die Marke von einer Million überschritten. Damit ist die von der Schafherde zurückgelegte Strecke im zweiten Jahr hintereinander um rund 50 Prozent gewachsen. „Im Moment investieren wir noch“, sagt Eckhardt über den Stand der Entwicklung aus Business-Sicht, „aber wir haben in den vergangenen Jahren gemerkt, dass es immer mehr anzieht.“ Mittlerweile, registriert der 64-jährige Gesellschafter erfreut, sei der Kipppunkt erreicht, dass sich mit dem Carsharing-Geschäft allmählich auch Geld verdienen lasse.
Konkurrenz braucht die BS-Carsharing GmbH nicht zu fürchten. Nach dem Rückzug von Greenwheels und Stadtmobil, zwei Anbietern von außerhalb, ist Sheepersharing in Braunschweig allein auf weiter Flur. Für die Kunden muss das kein Nachteil sein – im Gegenteil: Wäre der Carsharing-Markt aufgeteilt, müssten sich die einzelnen Anbieter mit entsprechend weniger Stellplätzen begnügen, denn die sind im Stadtgebiet nun mal nicht unbegrenzt. Für die Nutzer wäre das ein deutlicher Nachteil. „Die Stadt Braunschweig ist zu klein für mehrere Carsharing-Anbieter“, sagt Wolfgang Harms auch deshalb.
Außenbezirke noch nicht rentabel
Der reservierte Parkplatz ist derweil ein nicht zu unterschätzender Vorzug des Carsharing-Modells. „Gerade im Östlichen Ringgebiet, wo man unter akuter Parkplatznot leidet, ist das ein großer Pluspunkt“, erklärt Annett Harms. Ihr Ehemann berichtet von einem Kunden im Östlichen, der zwar ein Auto besitze, aber dennoch einmal die Woche mit dem „Schäfchen“ zum Sport fahre, um sich die nervige Suche nach einem Parkplatz in den Abendstunden zu ersparen. „Es ist ein hartes Stück Arbeit gewesen, Braunschweig mit so vielen Stellplätzen zu versehen“, sagt Harms und verweist dabei auch auf die gute Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung. Mittlerweile seien besonders die Innenstadt und eben das Östliche Ringgebiet schon sehr gut erschlossen, nun stehe das Westliche Ringgebiet im Fokus. Hinsichtlich der Verdichtung des Stellplatz-Netzes formuliert Wolfgang Harms für die Kernstadt ein ehrgeiziges Vorhaben: „Unser Ziel ist es, dass jeder Nutzer innerhalb von drei Minuten fußläufig ein Carsharing-Auto erreichen kann.“ Das sei es, was der Kunde erwarte, „ein längerer Fußweg ist für ihn nicht attraktiv“.
Dem Wachstum sind allerdings auch gewisse Grenzen gesetzt. „Wir sind ein kleiner Anbieter und haben keinen Millionenetat, um die Stadt mit unseren Autos zuzupflastern. Es geht nur Schritt für Schritt“, sagt Wolfgang Harms. Außerhalb des Stadtgebietes würden die „Schäfchen“ ihre Kosten derzeit noch nicht decken. Deshalb gibt es in den Außenbezirken aktuell nur zwei Teststellplätze, in Schapen und am Welfenplatz in der Südstadt. „So ein Stellplatz muss sich auch erst entwickeln, von daher geben wir denen noch ein bisschen Zeit“, stellt Annett Harms klar. Für weitere Stationen in der Peripherie sei man prinzipiell offen, betont Wolfgang Harms, „aber da muss die Frage gestellt werden: Wer steht für die Kosten gerade?“
Die Herde soll weiter wachsen
Auch der Umstieg auf Elektromobilität gestaltet sich derzeit noch schwierig, weil bislang nur öffentliche Ladesäulen auch öffentlich gefördert werden. Um ein E-Auto im Carsharing sinnvoll zu betreiben, brauche es am reservierten Parkplatz aber eine eigene Ladesäule, ist sich der 64-jährige Geschäftsführer sicher. Und dies sei derzeit finanziell noch nicht darstellbar.
Eine Expansion in andere Städte strebt Sheepersharing derweil nicht an. „Wir sind ein regionaler Anbieter und wollen das auch bleiben“, betont Annett Harms. „Wir hatten Anfragen aus dem halben Bundesgebiet“, berichtet Wolfgang Harms, „aber wir wollen Carsharing nicht in Wilhelmshaven anbieten, sondern hier in Braunschweig. Und hier wollen wir das vertiefen und ein funktionierendes System haben.“ Dazu gehöre auch eine deutliche Erweiterung der Flotte. „200 bis 300 Fahrzeuge können wir uns in der Stadt, in den Außenbezirken und in der Region durchaus vorstellen“, skizziert Volker Eckhardt seine Vision für die kommenden Jahre. Die Schäfchenherde in Braunschweigs Stadtbild dürfte künftig also noch deutlich präsenter werden.
Text: Christoph Matthies, 20.03.2023