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Pilze als Baustoffe der Zukunft

Ökologische und recyclingfähige Baustoffe sind ein wichtiger Faktor auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität. Ihre Eigenschaften reichen bisher allerdings nicht an konventionelle Materialien heran, deren Bindemittel häufig auf Erdöl basiert. Pilze könnten dies ändern: Ihr unterirdisches Wurzelgeflecht, das sogenannte Myzel, funktioniert wie ein natürliches Bindemittel – biologisch abbaubar und mit faszinierenden Eigenschaften. Unter Beweis gestellt wurde dessen Praxistauglichkeit jüngst bei einem gemeinsamen Projekt von Fraunhofer WKI und Staatstheater Braunschweig: Mit einem Bühnenbild aus Pilzmyzel.

Dr. Henrik-Alexander Christ© Privat

„Wenn man mit Holzwerkstoffen arbeitet, ist das Thema Nachhaltigkeit immer präsent“, erzählt Henrik-Alexander Christ, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut WKI (Öffnet in einem neuen Tab). Der Begriff Nachhaltigkeit stammt sogar aus der Forstwirtschaft. Doch auch bei der Herstellung von Holzwerkstoffen werden in der Regel synthetische Klebstoffe auf Basis von Erdöl verwendet. Diese sind nicht nachhaltig und bestehen teils sogar aus gesundheitlich bedenklichen Chemikalien wie Formaldehyd, Phenol oder Melamin. Forschende des WKI sind daher auf der Suche nach biobasierten und biologischen Bindemitteln zur Herstellung zukunftsfähiger Werkstoffe.

„Wir stehen vor der Herausforderung eine preislich konkurrenzfähige Lösung zu entwickeln, die zugleich alle Anforderungen der Industrie und deren Endkunden erfüllt. Und diese sind zahlreich und teilweise im Widerspruch“, erklärt Polymerchemiker Christ. „Beispielsweise benötigt man reaktive Ausgangsstoffe für wasserbeständige Klebstoffe. Die Reaktivität bringt jedoch in vielen Fällen bedenkliche Eigenschaften wie Giftigkeit, Kanzerogenität oder Umweltgefährlichkeit mit sich. Werden daraus bei der Verklebung von Holzwerkstoffen beständige Polymere, also umgangssprachlich Kunststoffe, hergestellt, sind diese am Ende oft nicht mehr biologisch abbaubar und damit ein Problem für das Recycling. Eine Lösung für das Dilemma versprechen Pilze und ihre Biopolymere.

Nachhaltiger Werkstoff mit großem Potenzial

Pilzmyzel, das ist das wurzelartige Geflecht aus feinen fadenförmigen Zellen, welches Pilze in ihrem Lebensraum bilden und auf dessen Basis manchmal der Fruchtkörper Pilz sprießt. Seit einigen Jahren ist klar: Das dreidimensionale Netzwerk des Myzels kann als lebendiges Bindemittel für pflanzliche Fasern und Späne genutzt werden. Diese besitzen dann, je nach Ausgangssubstrat, besondere Eigenschaften. Sie sind leicht und widerstandsfähig, isolierend, teilweise brand- und wasserbeständig und zugleich biologisch abbaubar. Außerdem dringen die Pilzzellen in Zwischenräume der Fasern ein und überziehen alles mit einem dichten Geflecht, wodurch es Stabilität und eine besondere Art von samtiger Oberfläche erhält. 

Die Möglichkeit, aus Pflanzenfasern und Pilzmyzel auf nachhaltige, biologische Weise stabile Werkstoffe in beliebiger Form herzustellen, faszinierte Christ so sehr, dass er sich zum Myzelmaterial-Spezialisten entwickelte: In seiner Promotionszeit an der TU Braunschweig (Öffnet in einem neuen Tab) beschäftigte sich der Chemiker mit der Modifikation und Anwendung von isolierten Biopolymeren aus Pilzen. In seiner Freizeit bildete er sich in mykologischen Themen und der praktischen Arbeit mit Myzel weiter. In diesem Zuge wurde er auf das Protohaus (Öffnet in einem neuen Tab)aufmerksam und etablierte dort gemeinschaftlich mit weiteren Enthusiasten die „Pilzwerkstatt“ als einen öffentlich nutzbaren Ort zum Arbeiten mit Myzel.

Als Wissenschaftler beim Fraunhofer WKI kann er seiner Leidenschaft inzwischen auch professionell nachgehen. „Es lassen sich diverse Verbundwerkstoffe wie Span-, OSB-, MDF- und Dämmplatten mit Hilfe von myzelbasierten Bindemitteln herstellen, aber auch Verpackungsmaterialien, Textilien und sogar Fleischersatz“, erklärt Christ. „Mein Kollege Steffen Sydow und ich forschen jedoch hauptsächlich im Bereich der Baustoffe. Es geht uns um die Frage, wie man ihre Eigenschaften optimieren und ihre Herstellung auf industriellen Maßstab skalieren kann.“

© Fraunhofer WKI

Kunst trifft Wissenschaft

Einen eher ungewöhnlichen Beweis für die Praxistauglichkeit des Materials traten Christ und Sydow in einer einzigartigen Kooperation mit dem Staatstheater Braunschweig (Öffnet in einem neuen Tab) an. Unterstützt durch das Protohaus entwickelten sie 2023 ein Bühnenbild aus Pilzmyzel. Dafür ließen sie in der Pilzwerkstatt über 300 kg Elefantengras-Fasern von Myzel eines einzigen Pilzes, dem Glänzenden Lackporling, durchwachsen. Im Technikum des WKI wurde die vorbereitete Masse anschließend mithilfe von großen Rahmen aus Holz und Pappe in die gewünschte Form gebracht: „Wir haben die Rahmen mit dem inkubierten Material befüllt und den Pilz alles durch sein weiteres Wachstum zu einem Werkstück verbinden lassen. Dabei hatten wir das Ziel, eine hügelige Struktur nachzubilden. So ist es uns gelungen, eine dreidimensionale Bergstruktur zu erreichen“, veranschaulicht Christ. „Die Rahmen wurden dann in unseren Klimakammern unter hoher Luftfeuchtigkeit behandelt. So ergab sich eine besonders glatte Oberfläche“. Eine abschließende Trocknung in Trockenkammern des WKI verhinderte das weitere Wachstum der Pilzzellen.

In den Theaterwerkstätten wurden die einzelnen Bauteile schließlich aneinandergesetzt. Das Ergebnis war ein Bühnenbild in Form einer begehbaren Höhlen- und Berglandschaft für das Theaterstück „Funken“ am Jungen Staatstheater. Zudem wurden auch Lampenschirme aus Myzel für die Bühne und weitere Exponate gefertigt. „Es war zwar arbeitsintensiv, hat aber auch unglaublich viel Spaß gemacht“, erinnert sich Christ und schwärmt: „Die Verbindung von Kunst und Wissenschaft ist immer sehr befruchtend. Allen Beteiligten haben sich neue Perspektiven eröffnet.“

Im Stück "Funken" nutzte das Staatstheater ein Bühnenbild aus Pilzmyzel.© Joseph Ruben Heicks

Einige Herausforderungen, viele Chancen

Trotz der vielversprechenden Eigenschaften von Myzel stehen die Forschenden noch vor einigen Herausforderungen. Die Herstellung erfordert spezifische Bedingungen, wie Keimfreiheit und die Kontrolle von Temperatur und Feuchtigkeit. Zudem muss das Myzel, bevor es als Baustoff verwendet werden kann, getrocknet werden, um es haltbar zu machen. Diese Prozesse sind energie- und zeitintensiv, was eine große Hürde auf dem Weg zur industriellen Nutzung darstellt. Ein zusätzliches Problem ist die Normierung und Zertifizierung des Materials. Bisher erfüllen Myzelmaterialien nicht alle Anforderungen, die an Baustoffe gestellt werden. Daher arbeitet man am WKI intensiv daran, den Herstellungsprozess effizienter zu gestalten und gleichzeitig die mechanischen Eigenschaften des Materials zu verbessern.

In den nächsten Jahrzehnten könnte es herkömmliche erdölbasierte Materialien in vielen Bereichen ersetzen. Und insbesondere das Projekt am Staatstheater war nicht nur ein künstlerischer Erfolg, sondern auch ein wichtiger öffentlicher Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft. Während noch einige Herausforderungen überwunden werden müssen, steht für Christ außer Frage, dass Myzel großes Potenzial als umweltfreundliches Bindemittel hat. Die Kooperation zwischen dem Staatstheater und dem Fraunhofer WKI ist Teil einer spannenden Entwicklung, die vielleicht die Welt nachhaltig verändern wird.

Text: Stephen Dietl, 28. Mai 2025


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Bildnachweise

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  • Privat
  • Fraunhofer WKI
  • Joseph Ruben Heicks