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Austoben am Wasserstoff

Am Braunschweiger Forschungsflughafen wird im kommenden Jahr ein Wasserstoff-Kompetenzzentrum entstehen. Das Steinbeis-Innovationszentrum (siz) energieplus möchte die Forschung an dem Energieträger der Zukunft vorantreiben. Davon soll das gesamte Mobilitätscluster im Norden Braunschweigs profitieren.

Die Energiewende ist eines der alles beherrschenden Themen unserer Zeit. Die dringend benötigte Abkehr von fossilen Energieträgern führt zwangsläufig zu der Fragestellung, wie diese vernünftig und unter möglichst geringen Kosten für Mensch und Umwelt zu ersetzen sind. Neben Strom aus regenerativen Quellen, gewonnen aus Windkraft, Wasserkraft oder Photovoltaik, spielt auch Wasserstoff in Industrie und Verkehr eine große Rolle. Besonders in den Bereichen der Mobilität, wo eine Elektrifizierung nur schwer möglich ist, etwa in der Schifffahrt, beim Flug- und Schienenverkehr oder bei Schwerlasttransporten, wird die derzeit noch sehr kostspielige Technologie Experten zufolge in Zukunft ein entscheidender Faktor sein.

Auch bei uns ist der Wasserstoff-Boom längst angekommen. Im September 2021 wurde die Region Südostniedersachsen – mit den Städten Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter sowie den Landkreisen Helmstedt, Goslar, Gifhorn, Peine und Wolfenbüttel – vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) als „Hyexpert Wasserstoffregion“ ausgezeichnet und mit Fördermitteln bedacht. Und nicht nur in Salzgitter mit seinem Wasserstoff-Campus soll prominent zu dem Thema geforscht werden. Auch in Braunschweig laufen derzeit die Vorbereitungen für ein Wasserstoff-Kompetenzzentrum, das im kommenden Jahr am Forschungsflughafen (Öffnet in einem neuen Tab) in Waggum entstehen soll. Die entsprechenden Anträge sind eingereicht, das Baugrundstück (in unmittelbarer Nachbarschaft der Firma Simtec Systems) ist bereits avisiert. Treibende Kraft hinter der neuen Forschungseinrichtung ist das Steinbeis-Innovationszentrum (siz) energieplus (Öffnet in einem neuen Tab), das seinen Sitz in einem Gebäude hat, das viele Braunschweiger noch als das „Pressehaus“ kennen.

Im ehemaligen Pressehaus an der Hamburger Straße, im heutigen Office am Ringgleis, ist das siz energieplus seit April 2021 zu Hause.© Christoph Matthies / BSM

Heizzentrale für den Flughafen-Campus

„Ich habe den besten Job der Welt“, erklärt David Sauss, den ich in seinem Büro in der Hamburger Straße 277 besuche. Als stellvertretender Leiter des siz energieplus tut er jeden Tag etwas, wofür er sich wirklich begeistert. Der 47-Jährige ist, das merkt man schnell, ein leidenschaftlicher Unterstützer der Energiewende. Viele Jahre lang haben er und das Team um Institutsleiter Prof. Dr. M. Norbert Fisch an der TU Braunschweig sehr praxisnah geforscht, zumeist in Umsetzungsprojekten. Nicht selten ging es darin um Themen wie Solarthermie und Photovoltaik. Als die Emeritierung von Prof. Dr. Fisch, der den Lehrstuhl für Gebäude- und Solartechnik innehatte, näher rückte, „haben wir als Forscherteam beschlossen, dieses Steinbeis-Zentrum zu gründen und unsere Arbeit hier fortzuführen“, erinnert sich Sauss. Auf diese Weise gelang es, das Know-how der arrivierten Wissenschaftler in der Löwenstadt zu halten.

Als stellvertretender Leiter des Steinbeis-Innovationszentrum energieplus ist David Sauss für die Entstehung der neuen Wasserstoff-Forschungseinrichtung am Braunschweiger Forschungsflughafen mitverantwortlich.© Christoph Matthies / BSM

Die Steinbeis-Gesellschaft mit ihrem Hauptsitz in Stuttgart ist eine Stiftung für Wirtschaftsförderung. In der Steinbeis GmbH & Co. KG für Technologietransfer (StC) laufen die formalen Fäden zusammen für das Kompetenz-Netzwerk aus rund 1.100 eigenverantwortlich geführten Steinbeis-Unternehmen (Transferzentren, Forschungs- und Innovationszentren, Beratungszentren, Transfer-Institute sowie Institute der Ferdinand-Steinbeis-Gesellschaft). Die Innovationszentren (siz) sind in einer gemeinnützigen GmbH als Forschungseinrichtung geführt und in der Förderfähigkeit beispielsweise mit der Helmholtz-Gemeinschaft oder der Fraunhofer-Gesellschaft vergleichbar.

Das Wasserstoff-Kompetenzzentrum am Forschungsflughafen, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, soll dabei helfen, unterschiedlichsten Fragen und Problemen auf den Grund zu gehen. Da wäre zum Beispiel die Frage nach einer effizienten Energienutzung. „Rund 30 Prozent der Energie, die für den Elektrolyse-Prozess“, also für die Spaltung von Wasser in seine Bestandteile Wasser- und Sauerstoff mittels Strom, „benötigt werden, gehen als Abwärme verloren“, berichtet Sauss. Bei den Plänen der Bundesregierung zum Aufbau einer riesigen Wasserstoff-Wirtschaft mache es deshalb durchaus Sinn, ganzheitlich zu denken: „Diese gesamte Wärme ist ein riesiges Potenzial, das wir nicht ungenutzt in die Atmosphäre entweichen lassen sollten.“ Der Steinbeis-Elektrolyseur soll daher als Heizzentrale für das Mobilitätscluster am Forschungsflughafen dienen, also seine Abwärme ins Netz einspeisen, um andere Institute und Unternehmen damit zu versorgen.

Die Skizze zeigt, wie das neue Wasserstoff-Kompetenzzentrum am Forschungsflughafen aussehen wird. Ab Sommer 2023 soll hier geforscht werden.© Steinbeis-Innovationszentrum (siz) energieplus

Stets die Nachhaltigkeit im Blick

Der Schwerpunkt der neuen Einrichtung soll jedoch stets auf der Forschung liegen. „Wie arbeiten Wärmepumpe und Elektrolyseur bei der Wärmeauskopplung zusammen?“, nennt Sauss eine mögliche Fragestellung. Auch mit Batterien, (thermischen) Speichern und Brennstoffzellen, in denen aus Wasserstoff elektrische und thermische Energie erzeugt wird, wolle man gemeinsam mit den Verbundpartnern der TU Braunschweig experimentieren, skizziert der gebürtige Magdeburger weitere Forschungsansätze. Sogar der Elektrolyseur selbst biete Spielraum für bislang unbekannte wissenschaftliche Beobachtungen, da es sich um einen Prototyp der Firma Enapter handele, bei dem 420 kleine Einheiten zu einer großen Anlage mit einem Megawatt Leistung vereint werden. „Das ist ein ganz neuer Ansatz“, sagt Sauss, der sich auf viele Aha-Erlebnisse freut.

Wichtig ist Sauss zu betonen, dass das Kompetenzzentrum zu einer Art „Co-Working-Space“ werden soll, von dem das gesamte Cluster profitieren kann: Auch die am Forschungsflughafen ansässigen Nachbarn sollen die Möglichkeit haben, mit der Anlage zu experimentieren und den Wasserstoff in ihren Testständen zu nutzen. Gemäß dem Prinzip der Nachhaltigkeit, dem sich das siz energieplus verpflichtet fühlt, soll in Waggum grüner, also CO2-neutraler Wasserstoff produziert werden, aus lokal erzeugtem Ökostrom. Zur Erreichung dieses Ziels ist eine Photovoltaik-Anlage eingeplant, als Partner ist außerdem der städtische Energieversorger BS|Energy mit an Bord, der sich, wie Sauss betont, „sehr stark in dem Projekt engagiert.“

„Längst nicht ausgeforscht“

Das neue Kompetenzzentrum, das im Jahr 2023 seinen Betrieb aufnehmen wird, könnte für das Konzept der Wasserstoff-Bereitstellung im Quartier einen Vorbildcharakter haben, glaubt der siz-Forscher. Der Vater von vier Kindern weiß natürlich auch um die Hürden, die dem Energieträger der Zukunft momentan noch im Wege stehen. „Insgesamt ist es sehr teuer, Wasserstoff mit Strom herzustellen“, sagt er, stellt aber andererseits klar, dass auch fossile Kraftstoffe eher nicht günstiger werden und die technische Forschung zur Wasserstoffmobilität in vielen Bereichen schon recht weit fortgeschritten und praktisch umsetzbar sei – etwa im Schienenverkehr, wo es auch in Niedersachsen schon erfolgreiche Pilotprojekte gibt, oder im Flugverkehr, wo Flugzeugbauer Airbus jüngst einen Riesenjet mit Wasserstoffantrieb angekündigt hat.

Die Energie- und Mobilitätswende vollzieht sich nicht erst morgen, sondern genau in diesem Moment – und die Brennstoffzelle ist neben dem Elektromotor eine der Schlüsseltechnologien. Zu entdecken gibt es trotz der bisherigen beachtlichen Fortschritte aber noch sehr viel. „Das Thema Wasserstoff ist längst nicht ausgeforscht“, betont David Sauss. Der Wissenschaftler kann es kaum erwarten, im Braunschweiger Norden endlich loszulegen: „Da können wir uns richtig austoben.“

Text: Christoph Matthies, 28.02.2022


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