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Quantentechnologien auf die Straße bringen

Die Quantenphysik gilt als das physikalische Fundament für entscheidende Durchbrüche in der Wissenschaft und verspricht gleichzeitig disruptive, neue Technologien beispielsweise für Informationsverarbeitung und Sensorik. Doch obwohl viele Innovationen bereits auf der Physik der Quantenwelt beruhen, steht die wirtschaftliche Erschließung der Quantentechnologien noch am Anfang. Außerordentlich viel Expertise in diesem Bereich ist in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig zu finden. Doch inwiefern gehen die Forschenden der Löwenstadt in dieser Zukunftstechnologie voran – und welche Innovationen kommen auf uns zu?

Zwei Jahre ist es her, dass „Besser Smart“ zum ersten Mal bei der PTB im Braunschweiger Nordwesten vorbeigeschaut hat, um sich über eine damals noch recht neue Einrichtung zu erkundigen. Das Quantentechnologie-Kompetenzzentrum (QTZ) gibt es seit 2019, es hat als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Industrie die Aufgabe, die Grundlagenforschung, die an der PTB zu Quantentechnologien betrieben wird, in die Anwendung und die kommerzielle Nutzung zu überführen. Seit unserem letzten Besuch habe sich viel getan, berichtet Dr. Nicolas Spethmann. „Wir haben viele Projekte gestartet und wachsen kräftig“, sagt der Leiter des QTZ, der ein rund 20-köpfiges Team an seiner Seite weiß.

Die augenscheinlichste Entwicklung zeigt mir Spethmann nach einem kurzen Fußweg, eine gute Minute von seinem Büro entfernt. Hier entsteht der „Lummer-Pringsheim-Bau“, der dem QTZ, das sich gegenwärtig noch mit wenigen Büros im Zentralgebäude der PTB begnügen muss, schon bald als neues Hauptquartier dienen und viel Platz bieten wird. An einem Ort, wo so präzise gemessen wird wie nur auf wenigen anderen Orten auf der Welt, liegt auch das Bauvorhaben im Zeitplan: Von Beginn der Planungen vor einigen Jahren bis heute hat sich das Datum der Fertigstellung nicht nach hinten verschoben, freut sich Spethmann, dass er und sein QTZ Ende 2023 pünktlich die neuen Büros, Labore und Messräume beziehen können. „Das wird ein weiterer Meilenstein für uns“, sagt er.

Dr. Nicolas Spethmann vor dem Lummer-Pringsheim-Bau, der Ende 2023 auf dem Gelände der PTB fertiggestellt werden soll.© Christoph Matthies

Spitzenforschung „Made in Braunschweig“

Seit 2017 ist Spethmann in Braunschweig tätig, zuvor lebte er unter anderem dreieinhalb Jahre lang in den USA, wo er an der renommierten University of California, Berkeley forschte. Der Wissenschaftler, der sich mit seiner Familie in Dibbesdorf niedergelassen hat, weiß den hiesigen Forschungsstandort zu schätzen. „Unsere Region“, sagt er, „ist deutschlandweit und weltweit konkurrenzfähig in der Quantentechnologie.“ Sieht man sich seinen Arbeitgeber an, verwundert das kaum: Die PTB ist das älteste und zweitgrößte Metrologie-Institut der Welt und genießt in der Wissenschaft des Messens weltweit ein hohes Ansehen. Rund 1700 Mitarbeitende sind an ihrem Hauptsitz in der Bundesallee 100 in Braunschweig tätig. Weltklasse-Messtechnik und Quantenforschung unter einem Dach – das sucht seinesgleichen. Und Kompetenz gibt es in der Region noch mehr: die PTB blickt auf eine langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit mit der TU Braunschweig und der Leibniz-Universität Hannover zurück, wie beispielsweise im DFG-geförderten Exzellenzcluster „QuantumFrontiers“ und weiteren Verbünden. In jüngster Zeit ist mit dem „Quantum Valley Lower Saxony“ (QVLS) eine Dachorganisation für das entstehende QT-Ökosystem in der Region entstanden, dass diese Zusammenarbeit auf eine neue Stufe hebt.

Mit dem Thema Quantenphysik beschäftigt sich die PTB (bzw. deren Vorgängerin im Deutschen Reich, die Physikalisch-Technische Reichsanstalt – PTR) schon seit den Anfängen der Quantenphysik zu Zeiten von Max Planck, also seit über 120 Jahren. Aber was genau ist Quantenphysik eigentlich, und wie können uns Quantentechnologien voranbringen? Die Quantenphysik wirft einen Blick in die Welt des Allerkleinsten und beschreibt die Naturgesetze der Elementarteilchen, also im atomaren und subatomaren Bereich. Technologien wie Laser, Computer, Solarzellen oder ein Kernspintomograph würden ohne die Erkenntnisse der Quantenphysik nicht existieren. Das gleiche gilt im Übrigen auch für die Atomuhren, die von Braunschweig aus die amtliche Zeit an Funkuhren in der ganzen Republik senden. Doch es bleibt nicht bei der bloßen Beschreibung: „Der Wissenschaft gelingt es in immer stärkerem Maße, in dieser Welt gezielt die Regie zu übernehmen“, schreibt die PTB in einer Broschüre – diese Entwicklung bedeutet auch neue Möglichkeiten für Zukunftstechnologien.

Herzstück des auf gespeicherten Ionen basierten Quantencomputers: eine Oberflächen-Ionenfalle. Ionenfallen sind zudem Basistechnologien für weitere Anwendungen wie beispielsweise Atomuhren.© QTZ/PTB

Im weltweiten Forschungswettlauf vorne dabei

Diese Entwicklung der Quantentechnologie bringt enorme technologische Versprechen mit hohen wirtschaftlichen Potenzialen mit sich, wie leistungsstarke Quantencomputer, abhörsichere Quantenkommunikation oder auch Sensoren bislang ungekannter Empfindlichkeit, die beispielsweise in der medizinischen Diagnostik zum Einsatz kommen. Auf die Möglichkeiten der Quantentechnologien angesprochen, zitiert QTZ-Leiter Spethmann den Physiker Theodore Maiman, der 1960 einen der ersten funktionstüchtigen Laser entwickelte. „Ein Laser ist eine Lösung, die ein Problem sucht“, soll der US-Amerikaner damals gesagt haben. In der Rückschau erscheint das verblüffend: Der Laser war erfunden, aber man wusste nicht, was man damit anstellen soll. Ganz ähnlich, glaubt Spethmann, könnte es mit den Quantentechnologien passieren, die auf Erkenntnissen basieren, die mit lange anerkannten Naturgesetzen brachen. Und auch wenn es nicht immer einfach sei, diese Erkenntnisse mit dem gesunden Menschenverstand zu vereinbaren, so stellt er doch klar: „Das ist nichts Mysteriöses, das ist hart etablierte Wissenschaft. Und wir können als Physiker in zahlreichen Experimenten klar beobachten, dass sich die Natur gemäß den Gesetzen der Quantenphysik verhält.“ Von der Relevanz der Disziplin zeugen immer wieder auch die Nobelpreise, die an Quantenphysiker vergeben werden, zuletzt im Jahr 2022.

Ebenso wie bei der Künstlichen Intelligenz scheint es auch im Bereich der Quantentechnologien momentan einen weltweiten Wettlauf zu geben. Dafür, dass Deutschland in diesem Innovationswettbewerb gegenüber anderen Ländern wie beispielsweise den USA oder China nicht zurückfällt, sollen Förderprogramme von Bund und Ländern sorgen. In Niedersachsen schob das Ministerium für Wissenschaft und Kultur im Jahr 2020 gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung, darunter auch PTB und TU Braunschweig, die Initiative „Quantum Valley Lower Saxony“ (QVLS) an, um die Kompetenzen im Land zu bündeln. Leuchtturmprojekt der Initiative ist mit dem Projekt QVLS-Q1 ein Quantencomputer auf der Basis von Ionenfallen, der bis Ende 2025 realisiert werden soll. „Ionenfallen sind eine Schlüsseltechnologie, die bereits in erste Produkte einfließt“, berichtet Spethmann. Die Expertise in diesem Bereich sei an der PTB sehr hoch, betont der 42-Jährige. Die unabhängige Charakterisierung, also Messung und Bewertung solcher Ionenfallen, auch für Partner aus der Industrie, beschreibt Spethmann als das „Kerngeschäft“ des QTZ – erste Anfragen von deutschen Chipherstellern werden bearbeitet.

Blick in eine Vakuumkammer, die etwa bei Teilchenbeschleunigern und anderen physikalischen Apparaturen zum Einsatz kommt.© QTZ/PTB

Verstärkte Zusammenarbeit mit der Industrie, Unterstützung für Start-ups

Zwei neuartige, von Bund und Land geförderte Projekte unter dem Dach des Quantum Valley, an denen Spethmann mit seinem QTZ beteiligt ist, nennen sich QVLS-iLabs und QVLS-HTI. Ersteres ist eines von bundesweit sieben „Zukunftsclustern“, die 2022 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ernannt wurden. Das Projekt QVLS-iLabs soll sogenannte „Integration Labs“ anschieben, „Nukleationszentren für die Kooperation zwischen Industrie und Grundlagenforschung“, wie es in der Projektbeschreibung heißt.

Das Projekt QVLS-HTI (Hightech-Inkubator) hingegen wird vom Land Niedersachsen durch das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung gefördert und richtet sich explizit an junge Deep-Tech-Firmen und Start-ups im Bereich der Quantentechnologien. Ihnen soll, neben der finanziellen Förderung, ein „niedrigschwelliger Zugang zu Hightech-Infrastruktur und hoch-spezialisiertem Expertenwissen“ ermöglicht werden, wie die Projektverantwortlichen selbst schreiben. In Braunschweig passiert dies in den ehemaligen Rolleiwerken in der Salzdahlumer Straße, die heute ein Coworking-Areal sind. Hier stehen 12 jungen Unternehmen, die zum Beispiel in den Bereichen Laser, Ionenfallen, Halbleiter und Magnetfeldmessung tätig sind, künftig Büro- und Laborräume sowie Ausstattung und Expertise der Konsortialpartner des QVLS (PTB, LUH, TUBS) zur Verfügung. „Beide Projekte sind wichtige und wertvolle Instrumente, um das Wissen aus der PTB und den Unis auf die Straße zu bringen“, freut sich Spethmann über die neuen Initiativen, in denen verschiedene Partner ihr Know-how einbringen.

Am QTZ wird derzeit auch an einem Quantencomputer-Demonstrator gearbeitet.© QTZ/PTB

Beinahe ebenso wichtig wie die Forschung selbst ist es, diese Forschung „aus dem Labor auf den Chip“ zu bringen, wie Nicolas Spethmann es ausdrückt. Doch in Sachen Technologietransfer gebe es noch Lücken, räumt der QTZ-Leiter ein, nicht zuletzt aufgrund von bürokratischen Hindernissen. Rein wissenschaftlich müsse sich Deutschland hinsichtlich Quantentechnologien laut Spethmann dagegen „überhaupt nicht verstecken“. Für die Stadt Braunschweig mit seiner Forschungsinfrastruktur gilt das ganz besonders!

Text: Christoph Matthies, 24.07.2023


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