Gert Loschütz, Preisträger 2021
Der Schriftsteller Gert Loschütz hat für sein Buch „Besichtigung eines Unglücks“ den von der Stadt Braunschweig und dem Deutschlandfunk gestifteten und mit 30.000 Euro dotierten Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2021 erhalten. In einer Sendung des Deutschlandfunk und des Deutschlandfunk Kultur vom 28. November, wurde ihm der Preis digital verliehen.
Was bedeuten schon vier Sekunden? Nichts und doch alles, wie Gert Loschütz‘ Roman „Besichtigung eines Unglücks“ mit literarischer Meisterschaft zeigt. Auf fast 120 Seiten rekonstruiert der Erzähler Thomas Vandersee eines der schwersten Zugunglücke, die sich je in Deutschland ereignet haben, um dann noch ganz andere Geschichten Fahrt aufnehmen zu lassen, um Schicksale zu beleuchten, die von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts bestimmt wurden. Als in der eisigen Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 1939, drei Monate nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, im Bahnhof der sachsen-anhaltischen „Kanalstadt“ Genthin zwei D-Züge ineinanderrasten, rührte dieses epochale Verhängnis nicht nur kausal an die Umstände des beginnenden Krieges, sondern kann auch als seine Allegorie gelesen werden. Auch wenn der spröde, immer faktenorientierte Erzählstil symbolische Lesarten an keiner Stelle fördert.
Weiter hieß es in der Begründung: „Besichtigung eines Unglücks“ entwickelte Gert Loschütz aus einem gleichnamigen Hörspiel. 19 Hörspiele, 17 Bücher sowie diverse Fernsehspiele umfasst sein Werk, für das „Besichtigung eines Unglücks“ einen grandiosen Höhepunkt markiert. Lautlos, wo verzweifeltes Schreien ertönt. Schwarzweiß, wo die Welt in Flammen steht. Langsam, wo die Welt aus den Gleisen springt. So erkennt man sie.
Die Jury setzte sich zusammen aus:
Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel (Präsident der Internationalen Raabe-Gesellschaft e.V.)
Katrin Hillgruber (freie Literaturkritikerin)
Alexander Cammann (DIE ZEIT)
Thomas Geiger (Literarisches Colloquium Berlin)
Dr. Anja Hesse (Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Braunschweig)
Dr. Michael Schmitt (3sat)
Prof. Dr. Julia Schöll (Germanistisches Institut, TU Braunschweig)
Katharina Teutsch (u.a. FAZ und ZEIT)
Dr. Hubert Winkels (Deutschlandfunk)
Die Begründung der Jury:
„Was bedeuten schon vier Sekunden? Nichts und doch alles, wie Gert Loschütz‘ Roman „Besichtigung eines Unglücks“ mit literarischer Meisterschaft zeigt. Auf fast 120 Seiten rekonstruiert der Erzähler Thomas Vandersee eines der schwersten Zugunglücke, die sich je in Deutschland ereignet haben, um dann noch ganz andere Geschichten Fahrt aufnehmen zu lassen, um Schicksale zu beleuchten, die von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts bestimmt wurden. Als in der eisigen Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 1939, drei Monate nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, im Bahnhof der sachsen-anhaltischen „Kanalstadt“ Genthin zwei D-Züge ineinanderrasten, rührte dieses epochale Verhängnis nicht nur kausal an die Umstände des beginnenden Krieges, sondern kann auch als seine Allegorie gelesen werden. Auch wenn der spröde, immer faktenorientierte Erzählstil symbolische Lesarten an keiner Stelle fördert.
Gerade die sachlich konkrete aktengenaue Manier dieser Romanprosa gibt dem Entsetzen eine angemessene Form, wie später auch der Tragik einer ergreifenden Liebesgeschichte, die in das besichtigte Unglück eingebettet ist. Alle technischen und dramaturgischen Mittel des Romans sind wiederum Teile eines epischen Diskurses über die prägende Macht des Zufalls und die Gleichzeitigkeit, große Geschichte prägend und das Leben und die Liebe einzelner Menschen.
Mit seinem Erzähler Thomas Vandersee, einem freien Kulturjournalisten, teilt Gert Loschütz den Geburtsort Genthin. Je tiefer der Rechercheur in die Geschichte des Unfalls eindringt, desto näher kommt er seiner eigenen Lebensgeschichte bis hin zum Moment der Abfassung des Romans selbst. Ein hochkomplexes Kunststück, das sich als empirisch getragener faktischer Bericht tarnt.
„Besichtigung eines Unglücks“ entwickelte Gert Loschütz aus einem gleichnamigen Hörspiel. 19 Hörspiele, 17 Bücher sowie diverse Fernsehspiele umfasst sein Werk, für das „Besichtigung eines Unglücks“ einen grandiosen Höhepunkt markiert. Lautlos, wo verzweifeltes Schreien ertönt. Schwarzweiß, wo die Welt in Flammen steht. Langsam, wo die Welt aus den Gleisen springt. So erkennt man sie.“