Althaus übernimmt Sonderpfarramt

Althaus bekam 1957 das neugeschaffene, bundesweit einzige Pfarramt an Israel und Zigeunern. Nach Ansicht eines leitenden Angestellten der Landeskirche handelte es sich dabei um den Versuch, den Pastor „abzuschieben1. Dieser Verdacht wird erhärtet, wenn man bedenkt, daß Braunschweig eine sehr kleine Landeskirche ist, in deren Grenzen sich nach dem Genozid kaum Juden und wohl auch nur wenige „Zigeuner“ befunden haben dürften. Außerdem wurde das Amt nach der Pensionierung von Althaus 1963 auch nicht mehr vergeben. Es würde sich dabei um einen nahezu zynisch zu nennenden Akt der „Befriedung“ handeln, bei dem man den abgeschobenen Unruhestifter zudem nach außen als Alibi für die eigene Einsichtigkeit vorweisen konnte.

Entgegen aller Erwartung meldete sich Althaus jedoch noch einmal öffentlich zu Wort. Er nahm 1962 den Eichmann-Prozeß in Jerusalem zum Anlaß, in einem Brief an alle Pastoren der Landeskirche auf die belastete Vergangenheit der Kirche hinzuweisen. Zusätzlich protestierte er dagegen, daß seit 1958 der Präsident des niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig, Dr. Friedrich Knost, auf Vorschlag des Bischofs von der Landessynode in ihre Reihen gewählt worden war. Knost war im Dritten Reich Regierungsrat im Innenministerium und im Reichssippenamt gewesen und hatte außerdem den Standartkommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 mitverfaßt. „Es ist für unsere braunschweigische Landeskirche eine nicht zu tragende Schmach, daß in ihrer obersten Spitze einer der gefährlichsten Feinde unserer jüdischen Brüder und Schwestern sitzt.“, äußerte Althaus dem Spiegel gegenüber2. Anfang 1961 hatte ein Landesbeamter Knost wegen Teilnahme an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Anstiftung oder Beihilfe zur Rechtsbeugung, Verfolgung Unschuldiger und Freiheitsberaubung angezeigt. Nach sechs Wochen waren die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft jedoch bereits wieder eingestellt worden.

Die Justiz sah offenbar keine Möglichkeit oder keine Notwendigkeit, gegen Knost einzuschreiten, der im Rassengesetz-Kommentar u.a. die Gleichheit vor dem Gesetz bestritten und dem Führer gehuldigt hatte. Erdmann antwortete auf die Anschuldigungen von Althaus ebenfalls mit einem Rundbrief, in dem er deutlich machte, daß er Althaus für geradezu besessen von der Idee halte, die Kirche befreien zu müssen. Er bat die Pastoren, „daß wir ihn alle umgeben mit unserer Fürbitte.[...] Pastor Althaus ist ja doch trotzdem unser Amtsbruder, und ich bleibe sein Bischof.3

Das Verhalten und die Reaktionen des Landesbischofs zeigen klar, daß ihm nicht an einer wie auch immer gearteten Aufarbeitung der Vergangenheit gelegen war, sondern daß er dieses Kapitel der landeskirchlichen Geschichte im Interesse von Ruhe und Ordnung zu den Akten legen wollte. Das geht einher mit der offiziellen Doktrin der evangelischen Kirchen, die schnell Verbreitung fand, daß sie zu den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung gehört habe und quasi als einzige gesellschaftliche Gruppierung nun die moralische Kraft und auch den Anspruch habe, den Neubeginn gestaltend zu begleiten4. Althaus mußte dies ablehnen, und gerade das Beharren auf Knost und anderen Belasteten in der Kirchenleitung mußte ihn provozieren und zumindest den Eindruck von Unbelehrbarkeit und Mangel an Sensibilität hinterlassen.

In einem Schreiben an seinen Bischof weitete Althaus dann die Vorwürfe auch gegen Oberlandeskirchenrat Lerche aus. Lerche war Landgerichtsdirektor am Oberlandesgericht Braunschweig gewesen, vor allem war er aber durch seine Tätigkeit als Beisitzer und ab 1943 als Richter am Sondergericht belastet. Er war dorthin gegen seinen Willen wegen Personalmangel versetzt worden und hat offenbar nicht immer mit der von der Staatsanwaltschaft erwünschten Härte geurteilt. Trotzdem sind unter seiner Verantwortlichkeit etwa 54 Todesurteile gefällt worden, „die größtenteils nach rechtsstaatlichen Maßstäben als Justizmorde bezeichnet werden müssen5. Ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde 1946 u.a. wegen Verjährung eingestellt. Im gleichen Jahr wurde Lerche in den Landeskirchentag gewählt und 1951 zum Oberlandeskirchenrat ernannt - zu einer Zeit, als die Landeskirche dringend einen erfahrenen Juristen suchte.

Der Bischof versicherte den Angegriffenen seiner Unterstützung, Lerche starb dann aber bereits Ende 1962. Erdmann betrieb nun erfolgreich die Zwangspensionierung von Althaus. Die Kirchenregierung, der sowohl Knost wie auch der ebenfalls beschuldigte Oberlandeskirchenrat Breust angehörten, verfügte die Versetzung in den Ruhestand zum 1. Mai 19636. Begründet wurde dieser Schritt damit, daß Althaus mit 65 Jahren das Alter erreicht habe, in dem er pensioniert werden könne. Althaus mußte das aber eindeutig als Bestrafung bzw. als endgültige Abschiebung verstehen, denn viele Geistliche der Landeskirche arbeiteten trotz ihres hohen Alters weiter in ihren Ämtern. Er setzte sich dagegen zur Wehr. Der Schritt überrasche ihn nicht, ihm sei von der Kirchenleitung bereits bedeutet worden, die Vorwürfe gegen Knost zurückzunehmen oder pensioniert zu werden. Althaus lehnte beides ab7. Unter Bezugnahme auf den Fall Lerche protestierte er nochmals gegen die Politik der Landeskirche: „In der Kirche kennen wir keine Verjährung, echte Buße und Vergebung sind etwas ganz anderes.8 Er erhob Einspruch und schrieb an Erdmann:

Einen Mann wie Dr. Knost wird man kaum als menschlich und moralisch legitimiert ansehen können, bei der Versetzung eines Pastors in den Ruhestand mitzuwirken, der gerade für die von ihm, Dr. Knost, und seiner Tätigkeit betroffenen Juden und Zigeuner zu arbeiten hat.9

Das Landeskirchenamt in Wolfenbüttel lehnte den Einspruch ab. In einer Stellungnahme an die Presse bestritt Bischof Erdmann, daß es einen Zusammenhang zwischen der Pensionierung und den Vorwürfen gegen Knost gegeben habe. Vielmehr sei der Schritt gegen Althaus wegen dessen Amtsführung erfolgt. Daß sie erst jetzt erfolgt sei, liege daran, daß man gegenüber „einem Mann, der in den Jahren des Naziterrors besonderer Verfolgung ausgesetzt war“, Rücksicht habe nehmen wollen10. Im Übrigen sehe er keinen Anlaß, gegen Knost vorzugehen, da die Prüfung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe ja bereits zur Einstellung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft geführt hätten und Knost inzwischen von der Landesregierung in Hannover sogar mit dem Posten des Verwaltungspräsidenten betraut worden sei. Weder Knost noch andere von Althaus Beschuldigte hätten am Beschluß über dessen Zwangspensionierung mitgewirkt.

Somit war das Verfahren rechtlich zulässig gewesen. Daß aber noch etwas anderes hinter dem Schritt der Kirche gestanden hatte, ist in den letzten Zeilen der Stellungnahme Erdmanns dennoch klar erkennbar:

Pastor Althaus hat in den vergangenen Jahren immer wieder leitende Männer der Landeskirche in seinen Rundschreiben wegen ihrer politischen Vergangenheit angegriffen. Die Kirchenleitung, die unter der Führung eines Bischofs steht, der selbst unter der Herrschaft des Nationalsozialismus schwer gelitten hat, wollte und will nicht verhindern, daß belastende Tatsachen aus dieser Zeit veröffentlicht werden. Sie kann es aber nicht länger hinnehmen, daß Pastor Althaus in seinen Veröffentlichungen fortgesetzt beleidigende und unwahre Behauptungen aufstellt.“11

Diese Behauptungen waren jedoch fragwürdig, wenn nicht sogar unwahr, und machen den Umgang des Bischofs mit der jüngsten Geschichte deutlich. Wenn Erdmann, der bis 1945 einfacher Landpfarrer gewesen war, von sich behauptete, er habe „selbst unter der Herrschaft des Nationalsozialismus schwer gelitten“, dann mußte er sich fragen lassen, welche Leiden er denn auf sich nehmen müssen hatte. Er hat sich in seiner Gemeinde zwar mit dem Einfluß eines radikal nationalsozialistischen Bürgermeisters auseinandersetzen müssen und hatte auch einmal einen scharfen Verweis von der Gestapo bekommen. Dies geschah jedoch nicht wegen einer regimekritischen Haltung, sondern weil er „eine Einladung zu einem Mädchenabend verbotenerweise nicht nur auf rein kirchliche Kreise beschränkt“ hatte12. Dies mit der Verfolgung von Pastor Althaus zu vergleichen war an sich bereits eine Anmaßung und läßt erneut auf ein problematisches Geschichtsbild schließen.

Die Behauptung, das Landeskirchenamt wolle die Veröffentlichung belastenden Materials nicht behindern, war schlicht falsch. Als 1957 Palmer, ehemals einer der führenden Geistlichen des Braunschweiger Pfarrernotbunds, mit dem „Material zur Geschichte des Kirchenkampfes in der Braunschweigischen Landeskirche“ eine Abhandlung über die Kirchenkampfzeit in Braunschweig vorlegte, verweigerte die Kirchenführung den Druck und die Veröffentlichung der Schrift, da die belastete Rolle der Oberlandeskirchenräte Breust und Röpke offen dargestellt wurde. Daraufhin ließ der letzte Vorsitzende des Bruderrats, Gefängnispastor Rohlfs, die Arbeit in der Gefängnisdruckerei in 300 Exemplaren vervielfältigen, wodurch sie eine gewisse Verbreitung finden konnte.13

Wenn Pastor Georg Althaus auch im Ton seiner Forderungen manchmal unbeherrscht wirkte, ist er doch einer von wenigen in der Braunschweiger Landeskirche gewesen, der versucht hat, Geschichte aufzuarbeiten anstatt schamhaft darüber hinwegzugehen. Während er jedoch von der Landeskirche schließlich in den Ruhestand abgeschoben wurde, verabschiedete man Männer wie Röpke oder Breust später ehrenvoll. Daß das Anliegen des Timmerlaher Pfarrers sich nicht durch Verdrängung von alleine löste, kann man daran sehen, daß auch über seinen Tod 1974 hinaus praktisch bis heute sein Name ein „Reizwort14 in der Kirche blieb.

Fußnoten

1 Die Äußerung fiel in einem Gespräch 1995 dem Autor gegenüber (Name ist dem Autor bekannt).

2Pfarrer: Verjährte Sünden“, in Der Spiegel Nr. 25 vom 19.6.1963, S. 42 - 44, hier S. 42.

3Pfarrer: Verjährte Sünden“, in Der Spiegel, S. 42.

4 offiziellen Doktrin der evangelischen Kirchen, die schnell Verbreitung fand, daß sie zu den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung gehört hatte und quasi als einzige gesellschaftliche Gruppierung nun die moralische Kraft und auch den Anspruch hatte, den Neubeginn gestaltend zu begleiten

5Pollmann, K.E.: Die Entnazifizierung in der Braunschweigischen Landeskirche nach 1945, in: ders., Der schwierige Weg..., S. 26 - 99, hier S.85 ff.

6Pastor Althaus will die Landeskirche verklagen“, in der Braunschweiger Zeitung vom 25.6.1963.

7Pastor Althaus will die Landeskirche verklagen“, in der Braunschweiger Zeitung.

8Pastor Althaus will die Landeskirche verklagen“, in der Braunschweiger Zeitung.

9Pfarrer: Verjährte Sünden“, in Der Spiegel, S. 42.

10Warum wurde Pastor Althaus pensioniert? Eine Stellungnahme der Landeskirche zu den Vorwürfen des pensionierten Geistlichen.“, in der Braunschweiger Zeitung vom 26.6.1963.

11Warum wurde Pastor Althaus pensioniert? Eine Stellungnahme der Landeskirche zu den Vorwürfen des pensionierten Geistlichen.“, in der Braunschweiger Zeitung

12 Kuessner, Bekennen und Vergeben..., S. 103.

13 Kuessner, Bekennen und Vergeben..., S. 126. Ein Exemplar der Schrift Palmers ist im LABS unter der Nummer 67/10 vorhanden.

14 Kuessner, Bekennen und Vergeben..., S. 130.

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