Der Wandteppich von Karl Wollermann in der Großen Dornse
Der Wandteppich von Karl Wollermann in der Großen Dornse des Altstadtrathauses vor dem Hintergrund der aktiven Rolle des Künstlers in der NS-Kulturpolitik
Der Teppich als Inszenierung von Harmlosigkeit
Der monumentale Wandteppich von Karl Wollermann (1904 – 1993) in den Maßen
4,00m x 8,00 m aus dem Jahr 1959 zeigt in stilisiert-abstrahierter Form das Stadtbild Braunschweigs prägende Architektur: Dargestellt sind neben mittelalterlichen Kirchen wie dem Dom St. Blasii, St. Katharinen und St. Andreas zudem typische Fachwerkbauten wie die erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder aufgebaute „Alte Waage“, oder die Liberei. Eine Reminiszenz an die sog. „Braunschweiger Schule“, eine nach der Formensprache der Technischen Universität Braunschweig benannte Architektur, findet sich am rechten Rand des Teppichs in Gestalt eines Hochschulbaus aus dem Jahre 1956 von Professor Dieter Oesterlen.
Erkennbar sind auch Umrisse der ehemaligen Festungsanlagen – als Zitat der wehrhaften Vergangenheit der Stadt.
An prominenter Stelle, am oberen Rand des Teppichs erscheint, in axialer Verlängerung der Abbildung der mittelalterlichen Liberei am unteren Rand, das Wappen der Stadt Braunschweig mit dem Löwen.
Hinterfangen werden die geometrisch abstrahierten Figuren von sechs farbig unterschiedlich angelegten monochromen Bildkacheln, die sich vertikal aneinanderreihen. Mit dieser Gestaltung nutzt Wollermann eine Darstellungsweise, die die moderne Malerei der 1920er Jahre – etwa im Umfeld des Bauhauses – geprägt hat, im Jahr 1959 für eine harmlos-gefällig erscheinende Inszenierung des Stadtbildes.
Auf den ersten Blick erscheint der Teppich als bloße Dekoration eines großen Saals, wie es seit dem Mittelalter in Gebäuden wie dem Altstadtrathaus, ehedem als Schall- und Wärmeschutz, üblich war. Das Altstadtrathaus wurde von der Mitte des 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts errichtet. In den 1960er Jahren wirkte der Teppich möglicherweise wie eine beschwichtigende Bestandsaufnahme: Er vermochte zu vermitteln, dass Braunschweig mit seinen Wahrzeichen trotz der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg weiter existierte. Der Bau von Dieter Oesterlen war gerade eingeweiht worden. Die Auswahl der Gebäude erfolgt offenkundig unter verschiedenen Aspekten. Eine Bestandsaufnahme dessen, was im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, die „Alte Waage“, das, was den Krieg und das Bombardement überdauert hat, die drei Kirchen und die Liberei, sowie der Neubau von Oesterlen, der sinnbildlich für den Wiederaufbau der Stadt steht.
Die Beauftragung
Den Auftrag, einen Wandteppich für die Große Dornse im Altstadtrathaus zu schaffen, erhielt Karl Wollermann am 17.2.1959 durch den Auftragsvergabeausschuss der Stadt Braunschweig im Rahmen eines Wettbewerbs. Neben „technischen und künstlerischen“ Aspekten wurden akustische Gründe für die Anbringung eines Gobelins angeführt.¹ Der Teppich wurde in einer Werkstatt in Itzehoe gefertigt. Anfang 1960 wurde die Große Dornse – geschmückt durch den Wandteppich – nach kriegsbedingten Sanierungsarbeiten feierlich wiedereröffnet. Karl Wollermann war zu dieser Zeit bereits Leiter der Braunschweiger Werkkunstschule, des Vorgängers der heutigen Kunsthochschule. Auf diese Position war Wollermann 1951 berufen worden, obwohl er ein exponierter Vertreter der nationalsozialistischen Kulturpolitik gewesen war.
¹ S. Stadtarchiv Braunschweig, E 314, Protokoll der Sitzung des Auftragsvergabeausschusses am 3.3.1959, S. 7.
Wollermanns Rolle in der NS-Kulturpolitik
Wollermann war seit 1937 Mitglied der NSDAP. Er machte schnell Karriere. Von 1934 bis 1939 war er Architekt bei der Bauverwaltung eines Luftkreiskommandos in München. 1939 wurde er stellvertretender Leiter der Staatsschule für Angewandte Kunst in Nürnberg, die 1940 zur „Akademie der bildenden Künste in der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg“ wurde. Diese Institution wurde von Adolf Hitler hinsichtlich ihrer Befugnisse persönlich unterstützt. Die Akademie stand für eine Kunst, die – anders als die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierte Kunst – dem Kulturprogramm der Nazis vollkommen entsprach. Wollermann hatte als Aufsichtsratsmitglied auch eine führende Rolle in der Nürnberger Gobelin Manufaktur GmbH (NGM) inne. Die NGM produzierte während der Zeit des Nationalsozialismus zum Beispiel Gobelins für das Reichsparteitagsgelände oder das Kasino der SS-Kaserne in Nürnberg. Im Mai 1941 erfolgte durch den Präsidenten der Reichskulturkammer Wollermanns Berufung zum ehrenamtlichen „Landesleiter der Reichskammer der bildenden Kunst Gau Franken“.¹ Als „Landesleiter“ sorgte er dafür, dass Kunstausstellungen in seinem „Gau“ den Maximen des „Führers“ genügten. Zudem kontrollierte er die mit Berufsverbot belegten „entarteten“ Künstler in ihren Ateliers.² 1942 schließlich begutachtete Wollermann als "Landesleiter" von deportierten Juden geraubte Kunstgegenstände auf ihre museale Verwertung hin.³ Wollermann war also an der Beraubung von verfolgten Juden mittelbar beteiligt.
¹ Vgl. Pascal Metzger: Die Nürnberger Kunstschule im Nationalsozialismus - Eine Akademie für die Stadt der Reichsparteitage. In: Geartete Kunst. Die Nürnberger Akademie im Nationalsozialismus. Ausstellung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände – Museen der Stadt Nürnberg, Nürnberg 2012, S. 87, zit. nach Friedrich Walz: Zwei Wandteppiche in Braunschweigs guten Stuben – Teil 2: Kritische Fragen, Online-Publikation des Braunschweigischen Geschichtsvereins, https://histbrun.hypotheses.org/3213); Walz´ Artikel bietet eine grundlegende Übersicht zum Wollermann-Teppich.
² S. Jürgen Weber: Das Narrenschiff, Kunst ohne Kompass. München 1994, S.20, zit. nach Friedrich Walz, op. cit, Teil 3: Versäumnisse?
³ S. ebd.
Wollermann in der Nachkriegszeit
Nach dem Krieg wurde Wollermann als "Belasteter" von allen seinen Aufgaben entbunden. Die Hälfte seines Vermögens wurde eingezogen, er wurde zu einer eineinhalbjährigen Haft in einem von den Alliierten geführten Arbeitslager verurteilt. 1949 wurde er in einem nunmehr deutschen Spruchkammerverfahren als bloßer "Mitläufer" rehabilitiert. Kurze Zeit später wurde er Leiter der Werkkunstschule in Braunschweig.¹
¹ S. Jürgen Weber, op.cit., S. 21.
Offene Fragen
Was bedeutet dieser Lebenslauf für den 1959 entstandenen Teppich? Ist es legitim, das Objekt nur als Kunstwerk zu sehen, als reines Ausdrucksmittel der 1950er Jahre? Als Dokumentation architektonischer Zeugnisse? Spiegelt der Teppich einfach nur die Ästhetik der Nachkriegszeit wider? Oder muss die Biographie eines Künstlers als hochrangiger Kulturfunktionär und williger Vollstrecker von Hitlers Kunstdoktrin beachtet werden – eines Nationalsozialisten, der geraubtes Gut deportierter Juden verwertete, während die Opfer in Vernichtungslagern ermordet wurden?
Tagung "Zum Beispiel Braunschweig. Zur Rezeption von NS-Kunst von 1945 bis heute"
Die oben genannten offenen Fragen wurden - neben vielen anderen Themen - bei einer wissenschaftlichen Tagung mit dem Titel "Zum Beispiel Braunschweig. Zur Rezeption von NS-Kunst von 1945 bis heute" im Städtischen Museum am 25.5.2024 diskutiert. Der untenstehende Flyer dokumentiert Ablauf und Inhalt der Tagung.
Folgende Stellungnahmen wurden zum Wollermann-Teppich und zum Umgang mit dem Objekt angesichts der aktiven Rolle des Künstlers Karl Wollermann in der NS-Kulturpolitik abgegeben:
- Der Teppich sollte in jedem Fall über das ausliegende Kommentarblatt hinaus kontextualisiert werden.
- Der Teppich sollte nicht abgehängt werden, weil er Element eines gesamten in den späten 1950er Jahren entstandenen Raumensembles sei. Angesichts des Ensembleschutzes sollten vielmehr einzelne temporäre, zum Beispiel künstlerische, Interventionen eine aufklärerische Kontextualisierung des Teppichs bewirken.
- Der Teppich sollte abgehängt werden, weil er bei jeder offiziellen Veranstaltung der Stadt in der Dornse als "guter Stube" der Stadt eine bildmächtige, großformatige Kulisse bilde. Die Stadt sende so das zwangsläufig Missverständnis produzierende Signal aus, dass die Rolle eines Künstlers mit klarer NS-Vergangenheit seitens der Stadtverwaltung nicht distanziert reflektiert werde. Gerade Gäste und Betrachter:innen, die mit Gruppen verbunden sind, die durch die NS-Herrschaft zu Opfern wurden, würden hierdurch irritiert oder verletzt.
- Der Teppich könne abgehängt werden, weil auch Ensembleschutz nicht bedeute, eine einmal erfolgte Raumeinrichtung für alle Zeiten erhalten zu müssen. Ein Signal der Kulturverwaltung könne auch sein, "beherzt" abzuhängen. Auf keinen Fall könne der Kontext des Teppichs ignoriert werden.
- Auf jeden Fall müsse die selbstverständlich scheinende Hängung des Teppichs aufgebrochen werden.
Kommentierung und Kontextualisierung des Objekts durch QR-Code-Teppich
Um den Wollermann-Teppich zu kommentieren und zu kontextualisieren, entwickelte die Verwaltung folgenden Vorschlag: Auf den Wollermann-Teppich wird ein ca. 1 x 1 m großer Teppich in der linken unteren Ecke aufgebracht, der mit einem QR-Code bedruckt ist. Dieser QR-Code führt zu einer Website mit Informationen über den Teppich, insbesondere aber über den Künstler, Karl Wollermann. Indem für den QR-Code vergleichbares Material wie für den Wollermann-Teppich verwendet werde, werde die „Wirkmacht“ des Kunstwerks eines NS-Künstlers gebrochen. Der QR-Code ist gewissermaßen ein subversiver Störer, der die von Wollermann inszenierte Harmlosigkeit unterläuft und die biographische Verankerung des Künstlers bewusstmacht.
Am 19.11.2024 wurde der Vorschlag als Beschlussvorlage im Ausschuss für Kultur und Wissenschaft vorberaten. Am 10.12.2024 wurde im Verwaltungsausschuss die Entscheidung getroffen, den Vorschlag umzusetzen. Der Beschluss lautete: "Dem Vorschlag der Verwaltung, den Wandteppich in der Großen Dornse des Altstadtrathauses kurzfristig mittels eines QR-Codes hinsichtlich seiner Autorenschaft zu kontextualisieren, wird zugestimmt. Der Beschlussvorschlag stellt einen ersten Verfahrensschritt im Umgang mit dem sog. Wollermann-Teppich dar."
Der Beschlussvorschlag wurde durch den Verwaltungsausschuss wie folgt ergänzt:
„Der Rat unterstreicht, dass der QR-Code lediglich eine Übergangslösung darstellt und beauftragt die Verwaltung daher, als nächsten Schritt eine Planung zu erarbeiten, um den sog. Wollermann-Teppich so bald wie möglich dauerhaft aus der Dornse zu entfernen.
Dazu soll durch die Verwaltung schnellstmöglich ein Ideen- oder künstlerischer Gestaltungswettbewerb durchgeführt werden, um Visionen und Ansätze für eine Neugestaltung der Wand mit einem neuen Wandteppich oder einer anderen geeigneten künstlerischen Gestaltung zu entwickeln. Wünschenswert wäre hierbei eine Beteiligung der Technischen Universität, der Hochschule für Bildende Künste und der freien Kunstszene. Die Vorschläge sollen dem Rat dann mit einer Stellungnahme und Bewertung durch die Verwaltung bis spätestens zum III. Quartal 2025 zur Beratung vorgelegt werden."
Am 11.02.2025 wurde der Teppich mit dem QR-Code, der diese Website ansteuert, auf dem Wollermann-Teppich angebracht.
Weitere Teppiche von Karl Wollermann im Altstadtrathaus
Im Bürgermeisterzimmer des Altstadtrathauses befinden sich zwei weitere Bildteppiche von Karl Wollermann. Die beiden vermutlich in den späten 1950er Jahren entstandenen Teppiche, die den Titel „Städtisches Museum“ tragen, wirken auf den ersten Blick wie eine harmlose Hommage an das Museum. Abgebildet sind einzelne in ein Rankenwerk eingebundene Stücke aus den Sammlungen des Hauses, so u.a. Gefäße aus der berühmten Formsammlung, die Walter Dexel für die Stadt Braunschweig zusammengestellt hatte, Porzellangefäße, die an die Fürstenberg-Sammlung des Museums denken lassen, und altamerikanische Stücke aus der Ethnologischen Sammlung. Hergestellt wurden die Teppiche in der Nürnberger Gobelin Manufaktur GmbH (NGM). Auftraggeber war das Städtische Museum Braunschweig. Auf den beiden Teppichen sind u.a. Objekte aus der ethnologischen – einst „völkerkundlichen“ – Sammlung abgebildet. Die teilweise aus sakralen Zusammenhängen stammenden Objekte, z.B. Grabbeigaben, werden als bedeutungslose Ornamente präsentiert. Wegen der von Wollermann geteilten nationalsozialistisch-rassistischen Ideologie u.a. gegenüber Volksgruppen aus Afrika und Südamerika entsteht bei den Teppichen ein Zusammenhang, der die NS-Ideologie mittelbar in die Gegenwart weiterträgt. Gefertigt wurden Teppiche in der Nürnberger Gobelin Manufaktur, in der Schaustücke für nationalsozialistische Prestigeprojekte wie z.B. SS-Kasernen hergestellt worden waren. Auch wenn die beiden Bildteppiche keinerlei NS-Symbolik erkennen lassen, geben sie durch die Biographie des Künstlers, dessen ideologische Hintergründe und durch die Fertigungsstätte eine Kette von Nachwirkungen des Nationalsozialismus zu erkennen, die es notwendig erscheinen lässt, die Teppiche aus dem Bürgermeisterzimmer zu entfernen. Nach einer baulichen Veränderung des Raums und konservatorischen Vorarbeiten werden die Teppiche während der nächsten Monate abgehängt und im Museum eingelagert werden.
Ausblick
Wir befinden uns nun ein einer offenen Diskussion zur zukünftigen Rolle des Teppichs. Neuigkeiten werden wir auf dieser Website veröffentlichen.
Zu diesen Neuigkeiten gehört auch, dass die Künstlergruppe „Bezugsgruppe Rainer Rauch“, der Kulturdezernentin Dr. Anja Hesse am 29.08.2024 einen Entwurf für eine Alternative zum Wollermann-Teppich im Rahmen einer Performance übergeben hat. Im Altstadtrathaus wird die Übergabe dokumentiert werden.